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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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dorthin gebracht hat.» Er hob die Stimme und sah Troubetzkoy direkt in die Augen. «Es gibt einen Zeugen, der gesehen hat, wie Durchlaucht vorgestern Nacht das Schiff betreten haben. Mit einem flachen und quadratischen Gegenstand.»
    Damit war alles gesagt. Tron brauchte jetzt nur noch einen Schritt zurückzutreten (was er tatsächlich tat, denn bei diesen Russen konnte man nie wissen) und zuzusehen, wie Troubetzkoy vor seinen Augen die Fassung verlor. Würde er in Tränen ausbrechen und alles als eine Art Unfall darstellen?
    Oder würde er leugnen? Würde er wider alle Vernunft lautstark abstreiten, dass er selbst den im Palazzo da Lezze erbeuteten Tizian auf die Karenina gebracht hatte?
    Und dann sah Tron, wie Troubetzkoy nichts  dergleichen tat. Der Großfürst nahm ein Glas und eine Flasche von einem kleinen Tischchen, das neben seinem Schreibtisch stand. Er goss es voll – Tron vermutete, dass es sich bei der klaren Flüssigkeit um Wyborowa handelte – und trank es zur Hälfte aus.
    Danach ließ er seinen Blick über den Tizian schweifen, leerte mit einem Schluck den Rest seines Szklankas und stand auf. Er ging zum Fenster und starrte ein paar Minuten lang auf den Canalazzo hinab. Als er zurückkam, sagte er: «Gut, Commissario.
    Sie haben gewonnen.»
    Ein Satz, den Tron gerne hörte. Irritierend war nur, dass Troubetzkoy bei diesem Satz lächelte – so wie jemand, der gerade einen besonders schmutzigen Trick anwendet, der ihm noch rechtzeitig eingefallen ist. Also offenbar das Gegenteil dessen meinte, was er sagte.
    Tron räusperte sich. «Es trifft also zu, dass Durchlaucht den Tizian vorgestern Nacht auf die Karenina gebracht haben?»
    Troubetzkoy nickte. «Ihre Andeutung», sagte er,
    «Sie könnten eine Hausdurchsuchung vornehmen, hatte mich ein wenig beunruhigt. Deshalb hielt ich es für klüger, den Tizian auf die Karenina zu bringen.
    Ich bezweifle allerdings, dass Sie jetzt einen Schritt weiter sind, Commissario.» Der Großfürst warf einen amüsierten Blick auf Tron. «Denn Sie haben weder das Bild, noch ist der Fall aufgeklärt – jedenfalls solange Sie mich für den Täter halten.»
    Tron runzelte die Stirn. «Und was ist das hier?»
    Tron wies mit der Hand auf den Tizian.
    «Ein Gemälde, das ich vor zwei Monaten von  Kostolany gekauft habe. Mit dem Ratschlag, es für einige Zeit unter Verschluss zu halten. Vermutlich handelt es sich um eine illegale Kopie. Ich hatte das Gemälde am Samstag nicht erwähnt, weil mich der Besitz automatisch verdächtig gemacht hätte.»
    «Warum? Wir hätten dem Eigentümer das Bild  zeigen können. Er hätte mir sagen können, ob es sich um dasjenige handelt, das aus dem Palazzo da Lezze verschwunden ist.»
    «Wenn es eine gute Fälschung ist, wird er kaum in der Lage sein, das Original von der Kopie zu unterscheiden. Außerdem gehen Sie von einer Voraussetzung aus, von der Sie nicht wissen, ob sie zutrifft.»
    «Welche Voraussetzung?»
    Troubetzkoy brachte es fertig, mitleidig und zugleich amüsiert zu lächeln. «Die Voraussetzung, dass der Eigentümer die Absicht hatte, ein Original in Venedig zu verkaufen.»
    Tron sagte: «Es spielt keine Rolle, ob ein Original gestohlen wurde oder eine Kopie. Die Frage ist, ob es sich um das Bild handelt, das aus dem Palazzo da Lezze verschwunden ist. Ich könnte mir denken, dass es irgendein Merkmal oder eine Beschädigung aufweist. Das würde für eine Identifizierung reichen.»

    Da er das Bedürfnis hatte, noch einen Punkt zu machen, fügte er hinzu: «Falls der Eigentümer uns mitteilen sollte, dass es sich hier um seinen Tizian handelt – ob Kopie oder nicht –, werden wir dieses Gespräch fortsetzen.»
    Eine Drohung, die Troubetzkoy unbeeindruckt  ließ. Er stand auf, um zu signalisieren, dass die Unterredung beendet war. «Das wird aber nicht der Fall sein, Commissario.»

    «Was Troubetzkoy gesagt hat, ist gar nicht so abwegig», sagte Tron zu Bossi, als sie fünf Minuten später den Campo Santo Stefano überquerten. «Die Königin könnte tatsächlich mit einer Kopie nach Venedig gekommen sein.»
    Zumal bei Marie Sophie ohnehin alles ziemlich durcheinander ging, dachte Tron. Wenn man ein bisschen am Lack kratzte, kam unter dem Gehrock eines russischen Zirkusdirektors ein Oberst der bourbonischen Truppen zum Vorschein, und hinter dem bürgerlichen Namen einer Signora Caserta verbarg sich eine exilierte Königin.
    «Wenn sie es gewusst hat», sagte Tron, «wird sie es uns kaum verraten. Sie wird nicht

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