Gone 4: Rache
den du gerade geschossen hast, ist keine tolle Leistung.«
»Aber du hast nicht auf ihn geschossen. Das war das Monster. Du hast ihn geheilt.«
Lanas Blick war so durchdringend, dass er es kaum aushielt. Trotzdem wich er ihm nicht aus. Sie suchte nach einer Schwäche in ihm. Oder suchte sie Ablehnung in seinen Augen?
»Du bist ganz allein da rauf, um ihn zu töten.«
»Und habe versagt.«
»Aber du hast es versucht. Wenn du ein Typ wärst, würde ich sagen, du hast Eier aus Stahl.«
Lana lachte, presste die Lippen zusammen, prustete wieder los. Sie konnte sich kaum einkriegen.
»Ich weiß nicht einmal, warum ich so lache«, sagte sie entschuldigend und eindeutig erstaunt.
Sanjit lächelte.
»Keine Ahnung, warum ich so lache«, sagte sie noch einmal.
»Wahrscheinlich bist du ein wenig gestresst«, sagte Sanjit trocken.
»Denkst du?«
Als Lana wieder zu lachen anfing, merkte Sanjit, wie sehr er ihr Lachen genoss. Es war kein albernes Lachen, es war auch nicht hysterisch. Es war weise – wie alles an diesem seltsamen Mädchen – und von Sarkasmus durchdrungen. Tiefsinnig. Faszinierend.
»Oh Mann«, sagte sie, als sie sich schließlich wieder in den Griff bekam. »Bist du deshalb hier? Weil Lachen die beste Medizin ist? Ist das deine gute Tat für heute? Heile die Heilerin mit der Kraft des Lachens?«
Jetzt war auch ihr Zynismus wieder da, unverfälscht und gnadenlos.
»Ich glaube nicht, dass ich dich heilen will.«
»Warum nicht?«, fauchte sie. »Ich meine, machen wir uns nichts vor. Ich bin ungefähr so verkorkst, wie man es nur sein kann. Verkorkster geht gar nicht. Warum willst du mich nicht heilen? Ich bin völlig fertig.«
Sanjit zuckte die Achseln. »Weiß nicht.«
»Verstehe. Du denkst, ich bin so fertig, dass es ein Kinderspiel ist, mich rumzukriegen. Ja? Ein leichtes Opfer?«
»Lana«, sagte Sanjit sanft, »du läufst mit einem Schießeisen durch die Gegend und siehst so aus, als würdest du es auch einsetzen. Du hast einen Hund. Du hast auf eigene Faust versucht, ein Monster umzubringen. Glaub mir, bei dir denkt niemand, sie ist leicht zu haben.«
Lana seufzte erschöpft, aber Sanjit nahm ihr weder den Seufzer noch die Erschöpfung ab. Nein. Sie hatte ihn nicht satt.
»Ich hab dich gesehen«, fuhr er fort. »Ich hab deine Stimme gehört. Du hast mich interessiert. Es ist eigentlich ganz unkompliziert. Ich hatte einfach das Gefühl …«
»Gefühl?«
Sanjit zuckte die Achseln. »Ja, ein Gefühl. Als wäre mein Leben einem kosmischen Plan gefolgt – angefangen von meiner Geburt auf den Straßen von Bangkok zu den Jachten und der Privatinsel bis zu meiner Ankunft hier als der Verrückte im Hubschrauber. Als hätte das alles nur einen Sinn: dir zu begegnen.«
»Ja, ja«, sagte sie abwinkend.
Er wartete.
»Letztens hast du gesagt, ich sei das zweitmutigste Mädchen, dem du je begegnet bist. Wer ist die Nummer eins?«
Sanjits Lächeln verschwand. Schneller, als sein Herz schlagen konnte, war er wieder dort, in dem dreckigen, nach verdorbenem Fischcurry und Pisse stinkenden Durchgang.
»Der Zuhälter, der mir die Zähne ausgeschlagen hat – er wollte mich umbringen«, erzählte Sanjit. »Verstehst du? Damit alle erfuhren, was ihnen blüht, wenn sie sich weigerten. Er hatte ein Messer. Und Mann, ich war mehr tot als lebendig. Ich konnte mich nicht einmal rühren. Und da tauchte auf einmal dieses Mädchen auf. Keine Ahnung, wo sie plötzlich herkam. Ich hatte sie noch nie gesehen. Sie, äh …«
Ihm versagte die Stimme. Lana wartete, bis er weitersprach. »Sie stellte sich vor den Kerl und sagte: ›Tu ihm nicht mehr weh.‹«
»Und er ließ dich gehen? Einfach so?«
»Nein. Sie war ein hübsches Mädchen, vielleicht elf oder zwölf Jahre alt. Ein gut aussehender Junge ist sein Geld wert. Aber ein hübsches kleines Mädchen … Sie war noch viel mehr wert.«
»Er nahm sie mit?«
Sanjit nickte. »Ich war eine Woche lang krank. Dachte, ich würde sterben. Bin auf den nächsten Müllhaufen gekrochen und … egal. Als ich wieder gehen konnte, habe ich nach ihr gesucht. Aber ich hab sie nicht gefunden.«
Die beiden saßen da und sahen einander an. Eine ganze Weile.
»Ich muss in die Stadt«, sagte Lana schließlich. »Aus irgendeinem Grund bin ich gegen die Grippe machtlos. So viel zum Thema ›die große Heilerin‹. Aber wenigstens kann ich etwas gegen Knochenbrüche und Verbrennungen und so ’n Zeug ausrichten.«
»Natürlich.« Sanjit stand auf. »Dann geh ich jetzt
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