Gone 5: Angst (German Edition)
Kriegsspiele gegen Bedrohungen, die nie Gestalt annahmen. Lauter Szenarien, in denen Sam eben nicht in Panik geriet. Nicht davonlief. Niemals weinte.
Denn mehr als vor irgendeinem Monster hatte er sich davor gefürchtet, ein Schwächling zu sein. Ein Feigling. Er hatte fürchterliche Angst davor gehabt, Angst zu haben.
Die Lösung konnte also nur darin bestehen, sich zu weigern, Angst zu haben.
Leichter gesagt als getan, wenn überall ganz reale Monster auf einen lauerten.
Seine Angst war nicht kleiner geworden, seit er sie verstand. Aber sie schwand immer mehr, indem er weiterrannte.
»Ich vermisse Howard«, sagte Orc.
Dekka war nicht besonders gesprächig. Eigentlich hatte sie bisher fast gar nichts gesagt. Orc redete normalerweise auch nicht viel, aber es war nicht so, als gäbe es etwas zu sehen. Oder sonst was zu tun.
Orc ging voran, während Dekka direkt hinter ihm blieb und dem Knirschen seiner Schritte folgte. Aus Stein zu sein, hatte den Vorteil, dass es ziemlich schwer war, ihn zu Fall zu bringen.
Über die meisten Hindernisse marschierte er einfach hinweg, trat sie platt oder schob sie aus dem Weg. Und wenn er in ein Gestrüpp geriet oder ein größerer Felsen im Weg lag, konnte er Dekka rechtzeitig warnen.
Fast schon so was wie ein netter Spaziergang. Zwar nichts zu sehen, aber genau das richtige Wetter: nicht zu kalt und nicht zu heiß. Das Problem war nur, dass sie keine Ahnung hatten, wo sie hingingen.
»Tut mir leid wegen Howard«, sagte Dekka Minuten später. »Ich weiß, dass ihr befreundet wart.«
»Niemand mochte Howard.«
Darauf erwiderte Dekka nichts.
»Für euch war er nur der Typ, der Drogen und Schnaps verkauft hat. Er konnte aber auch anders sein.« Orc zertrat eine Metalldose und plättete mit dem nächsten Schritt einen Sandhaufen. »Mich mochte er jedenfalls.«
Keine Reaktion.
»Du hast viele Freunde, deshalb verstehst du auch nicht, warum Howard …«
»Ich habe nicht viele Freunde«, fiel ihm Dekka ins Wort. Ihre Stimme war immer noch zittrig.
»Sam«, sagte Orc.
»Ja.« Dekkas Stimme wurde weicher. »Sam.«
»Edilio.«
»Wir arbeiten zusammen. Wirklich befreundet sind wir nicht. Was ist mit Sinder? Sie mag dich.«
Darüber hatte Orc noch nie nachgedacht. »Stimmt, sie ist nett zu mir«, gab er zu. »Und hübsch ist sie auch.«
»So hab ich es nicht gemeint.«
»Das ist mir klar.« Orc spürte, wie der kleine Rest Haut in seinem Gesicht errötete. Er zwang sich zu einem unverkrampften Lachen. »Weißt du, das ist sowieso nichts für mich. Welches Mädchen interessiert sich schon für einen wie mich?« Er wollte nicht so klingen, als täte er sich selbst leid.
»Tja. Wie es aussieht, gibt es auch nicht viele Mädchen, die sich für mich interessieren«, erwiderte Dekka tröstend.
Lana behielt Recht. Die Probleme traten bald auf und rissen von da an nicht mehr ab. Zuerst stoppte Quinn einen Jungen, der sich einen brennenden Stock geschnappt hatte und damit nach Hause laufen wollte.
»Ich will nur meine Sachen holen.«
»Kein Feuer außerhalb der Plaza«, sagte Quinn. »Tut mir leid, Mann, aber wir wollen nicht, dass die Stadt in Flammen aufgeht.«
»Dann leih mir eine Taschenlampe.«
»Wir haben keine, die …«
»Dann hör auf, mir auf den Wecker zu gehen. Du bist nur ein bescheuerter Fischer.«
Quinn griff nach der Fackel und entriss sie ihm. Der Junge versuchte, sie ihm wieder wegzunehmen, aber im Unterschied zu Quinn hatte er nicht monatelang an den Rudern trainiert.
»Du kannst meinetwegen hingehen, wo du willst, aber das Feuer bleibt hier.«
Er hatte den Jungen kaum zum Lagerfeuer zurückeskortiert, als er sah, wie sich am anderen Ende der Plaza ein paar Fackeln entfernten.
Quinn fluchte und schickte zwei seiner Leute hinterher. Seine Crew war völlig erschöpft. Sie hatten Holz gehackt, es zur Plaza geschleppt und zersägt, sie hatten Essen verteilt und Wasser geholt und ein Toilettenloch ausgehoben.
Lana hatte ihn davor gewarnt. Jetzt sah sie ihn mit ernster Miene an.
»Caine«, sagte Quinn. »Geht’s wieder?«
Caine war eine Zeit lang verschwunden gewesen. Später stellte sich heraus, dass er zum Meer gegangen war, um sich zu waschen. Er war in nassen, aber wieder halbwegs sauberen Klamotten zurückgekehrt, seine feuchten Haare waren nach hinten geklatscht und von den Wunden, die Pennys Krone in seine Stirn gerissen hatte, war nichts mehr zu sehen.
Seine Hände – zumindest die Handrücken – lagen immer noch unter einer dünnen
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