Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
wissen, wie rührend sie wirken, wenn sie in ihren billigen Anzügen in den Wäldern von Missouri die Coolness des Rat Packs zu imitieren versuchen.
Unter einer Leuchtreklame, die – nur für zwei Abende – die Wiedervereinigung einer Fünfzigerjahre-Doo-Wop-Gruppe anpreist, trete ich ein. Die Geldschlitze klimpern und klirren, fröhliches elektronisches Gezwitscher, das überhaupt nicht zu den dumpfen, schlaffen Gesichtern der vor den Maschinen sitzenden Menschen passt. Manche von ihnen rauchen über ihren baumelnden Sauerstoffmasken eine Zigarette. Penny rein, Penny rein, Penny rein, ding-ding-ding! Penny rein, Penny rein. Das Geld, das sie verschwenden, kommt den unterfinanzierten öffentlichen Schulen zugute, in die ihre gelangweilten Enkelkinder gehen. Penny rein, Penny rein. Eine Gruppe betrunkener junger Männer zieht vorüber, eine Junggesellenparty, die Lippen nass von den Schnäpsen; sie bemerken mich nicht mal, kräftig und maushaarig wie ich bin. Sie reden über Mädchen, suchen wir uns ein paar Mädchen, aber außer mir sind die einzigen Mädchen, die ich sehe, ziemlich alt. Die Jungs werden ihre Enttäuschung im Alkohol ertränken und auf dem Heimweg hoffentlich möglichst wenige andere Straßenverkehrsteilnehmer töten.
Wie vereinbart warte ich in einer kleinen Bar links vom Casinoeingang und beobachte die in die Jahre gekommene Boy-Band, die für das große grauhaarige Publikum singt, das freudig schnipst und klatscht und knotige Finger durch die Schalen mit kostenlosen Erdnüssen wandern lässt. Die skelettdürren Sänger, verwittert unter Glitzer-Smokings, drehen sich langsam auf ausgewechselten Hüften, der Tanz der Todgeweihten.
Zuerst schien mir das Casino eine gute Idee zu sein – direkt am Highway, voller Säufer und Greise, von denen keiner mich erkennt. Aber jetzt fühle ich mich beengt und zappelig, bin mir der Kameras in jeder Ecke allzu bewusst, der Türen, die jederzeit ins Schloss fallen können.
Gerade habe ich beschlossen, mich zu verdrücken, als er auf mich zu schlendert.
»Amy.«
Ich habe den treuen Desi zu meiner Hilfe (und zur Beihilfe) hergerufen. Desi, zu dem ich nie ganz den Kontakt verloren habe, und der mich – trotz allem, was ich Nick und meinen Eltern erzählt habe – nicht im Geringsten nervt. Desi, auch ein Mann, der am Mississippi zu Hause ist. Ich wusste schon immer, dass er sich noch einmal als nützlich erweisen würde. Es ist gut, wenigstens einen Mann zu haben, der einem in jeder Lebenslage hilft. Desi ist ein »Ritter in schimmernder Rüstung«-Typ. Er liebt Frauen, die Probleme haben. Noch Jahre nach Wickshire haben wir uns von Zeit zu Zeit immer mal wieder unterhalten, und dann habe ich ihn immer wieder nach seiner derzeitigen Freundin gefragt, und ganz gleich, wer sie war, er hat jedes Mal etwas gesagt wie: »Oh, es geht ihr leider nicht so gut.« Aber ich weiß, dass das für Desi ein Glück ist – die Essstörungen, die Tablettensucht, die lähmenden Depressionen. Am glücklichsten ist er, wenn er am Krankenbett sitzen darf. Nicht im Bett, sondern daneben, mit einer Brühe und einem Saft und einer sanften, ein bisschen steifen Stimme. Du armer Schatz .
Jetzt ist er hier, in einem schicken weißen Sommeranzug (Desi wechselt monatlich die Garderobe – was für den Juni angemessen war, ist für den Juli schon nicht mehr geeignet –, und ich habe seine Disziplin, die Präzision der Colling’schen Kostümierung, immer bewundert). Er sieht gut aus. Ich nicht. Ich bin mir meiner feuchten Brille und der Speckrolle an meiner Taille nur allzu bewusst.
»Amy.« Er berührt meine Wange und zieht mich dann an sich. Keine Umarmung, Desi umarmt einen nicht wirklich, es ist eher, als würde man von etwas umhüllt, was eigens auf einen zugeschnitten ist. »Schätzchen. Du kannst es dir nicht vorstellen, dieser Anruf. Ich dachte, ich bin verrückt geworden. Ich dachte, ich phantasiere! Ich hatte Tagträume davon, dass du am Leben bist, und dann dieser Anruf. Bist du okay?«
»Jetzt schon«, antworte ich. »Jetzt fühle ich mich sicher. Es war grässlich.« Und dann breche ich in Tränen aus, richtige Tränen, was nicht der Plan war, aber die Tränen fühlen sich so erleichternd an, und sie passen so perfekt in den Augenblick, dass ich ihnen freien Lauf lasse. Langsam perlt der Stress von mir ab: Es hat Nerven gekostet, den Plan in die Tat umzusetzen, dazu immer die Angst, erwischt zu werden, dann der Verlust meines Geldes, der Verrat, die
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