Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
diese Tatsache auch des Öfteren erwähnt, aber ihre Tränen waren für mich wie ein perverser Hoffnungsschimmer, dass sie womöglich dabei war, ihre Meinung zu ändern. Denn wir hatten in Wirklichkeit nicht mehr jede Menge Zeit. Als wir nach Carthage zogen, war Amy siebenunddreißig. Diesen Oktober würde sie neununddreißig.
Und dann dachte ich: Wir müssen eine Geburtstagsparty feiern, wir müssen ein Zeichen setzen, irgendeine Zeremonie abhalten, für die Freiwilligen, für die Medien – etwas, was das Interesse wieder aufleben lässt. Ich werde so tun müssen, als hätte ich Hoffnung.
»Der verlorene Sohn kehrt zurück«, sagte eine nasale Stimme, und als ich mich umdrehte, sah ich neben mir einen dünnen Mann in einem ausgeleierten T-Shirt, der sich an seinem Schnurrbart kratzte. Mein alter Freund Stucks Buckley, der irgendwann angefangen hatte, mich so zu nennen, ohne zu wissen, was eigentlich damit gemeint war. Vermutlich glaubte er, es wäre eine schicke Umschreibung für einen Blödmann. Stucks Buckley – der Name klang, als gehörte er einem Baseball-Spieler, und das hätte Stucks auch sein sollen, nur hatte er leider kein Talent, sondern lediglich den sehnlichen Wunsch. In unserer Jugend war er der Beste der Stadt gewesen, aber das war nicht gut genug. Im College bekam er den Schock seines Lebens, weil man ihn aus dem Team warf, und danach ging alles den Bach runter. Jetzt war er ein Kiffer mit diversen Jobs und Anwandlungen von Reizbarkeit. Er war ein paarmal in der Bar vorbeigekommen und hatte versucht, einen Job zu kriegen, aber bei jeder miesen Brotarbeit, die ich ihm anbot, schüttelte er nur den Kopf und kaute wütend auf der Wange: Ach komm schon, Mann, du hast doch bestimmt was Besseres.
»Stucks«, sagte ich zur Begrüßung und wartete, ob er gute Laune hatte.
»Hab gehört, die Polizei vermasselt das mal wieder so richtig«, sagte er und steckte die Hände in die Achselhöhlen.
»Ist noch ein bisschen früh, um das zu beurteilen.«
»Ach komm, Mann, diese kleine Schlappschwanz-Suche hier? Ich hab mehr Engagement gesehen, als der Hund des Bürgermeisters verschwunden ist.« Stucks Gesicht war sonnenverbrannt; als er sich näher zu mir beugte, konnte ich die Hitze spüren, die er ausstrahlte, und der Geruch von Listerine und Kautabak stieg mir in die Nase. »Warum haben die nicht ein paar Leute zusammengetrommelt? Gibt doch eine Menge, von denen sie sich welche aussuchen könnten, aber keinen Einzigen haben sie geholt. Keinen Einzigen. Was ist zum Beispiel mit den Blue Book Boys? Das hab ich die Polizistin auch gefragt: Was ist mit den Blue Book Boys? Sie hat mir nicht mal geantwortet.«
»Wer sind denn die Blue Book Boys? Eine Gang?«
»Das sind die Jungs, die letzten Winter von der Blue-Book-Druckerei entlassen worden sind. Keine Abfindung, nichts. Wenn du Gruppen von so richtig besoffenen Obdachlosen in der Stadt rumziehen siehst – das sind dann höchstwahrscheinlich Blue Book Boys.«
»Ich komm immer noch nicht ganz mit: Blue-Book-Druckerei?«
»Na, du weißt doch: River Valley Printworks. Am Stadtrand? Die haben doch diese blauen Hefte gemacht, die man im College für Hausarbeiten und so benutzt hat.«
»Oh. Hab ich gar nicht gewusst.«
»Jetzt benutzt man im College Computer und lauter solches Zeug – also, bye-bye, Blue Book Boys.«
»Gott, diese ganze Stadt geht vor die Hunde«, murmelte ich.
»Die Blue Book Boys, die trinken, nehmen Drogen, belästigen Leute. Ich meine, das haben sie vorher auch gemacht, aber montags mussten sie aufhören und zurück an die Arbeit. Jetzt lassen sie einfach die Sau raus.«
Stucks grinste mich mit seinen kaputten Zähnen an. Er hatte Farbkleckse in den Haaren – Fassadenmalerei war seit der Highschool sein Sommerjob. Ich bin spezialisiert auf Verzierungen, sagte er immer und wartete dann, dass man lachte. Wenn man nicht lachte, erklärte er den Witz.
»Und – waren die Cops schon draußen in der Mall?«, fragte Stucks. Verwirrt setzte ich zu einem Achselzucken an.
»Scheiße, Mann, warst du nicht mal Reporter?« Aus irgendeinem Grund schien Stucks sich immer über meinen früheren Beruf zu ärgern, als wäre es eine Lüge, die sich zu lange gehalten hatte. »Die Blue Book Boys, die haben sich in der Mall eine nette kleine Stadt eingerichtet. Hausbesetzung. Drogendeals. Immer mal wieder schmeißt die Polizei sie raus, aber am nächsten Tag sind sie schon wieder drin. Jedenfalls hab ich der Polizistin gesagt: Durchsucht die
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