Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
bist wirklich kein guter Mann.
Das Erschreckende war: Wäre der Sex phantastisch gewesen, wäre dies womöglich mein einziger Fehltritt geblieben. Aber er war nur ganz okay, trotzdem war ich jetzt ein Betrüger, und ich konnte meine Treuebilanz doch nicht wegen etwas so Durchschnittlichem ruinieren. Deshalb wusste ich, es würde ein nächstes Mal geben. Ich schwor mir erst gar nicht, dass es nicht wieder vorkommen würde. Und dann war das nächste Mal richtig, richtig gut, und das übernächste großartig. Bald wurde Andie für mich ein körperliches Gegenstück zu allem, was mit Amy zusammenhing. Andie lachte mit mir, sie brachte mich zum Lachen, sie widersprach mir nicht jedes Mal, wenn ich den Mund aufmachte, sie nörgelte nicht an mir rum. Sie sah mich nicht finster an, sie war unbefangen, alles war ganz leicht. Und ich dachte: Die Liebe weckt in dir den Wunsch, ein besserer Mensch zu werden – gut und schön. Aber vielleicht gibt dir die Liebe, die wahre Liebe, auch die Erlaubnis, einfach der Mensch zu sein, der du bist.
Ich hatte vor, Amy alles zu erzählen. Ich wusste, es musste sein. Aber ein Monat nach dem anderen verstrich, und ich sagte ihr nichts. Noch ein paar Monate vergingen. Hauptsächlich war es Feigheit. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dieses Gespräch führen und mein Verhalten erklären zu müssen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie wir mit Rand und Marybeth über die Scheidung diskutierten, denn sie würden sich garantiert massiv einmischen. Aber zum Teil schwieg ich auch aus Pragmatismus, einem bei mir stark ausgeprägten Charakterzug – es war beinahe grotesk, wie praktisch (eigennützig?) ich bei Bedarf denken konnte. Zum Teil bat ich Amy auch deshalb nicht um die Scheidung, weil Amys Geld die Bar finanziert hatte. Im Grund gehörte die Bar ihr, sie würde sie uns bestimmt wegnehmen. Und ich konnte es nicht ertragen, meiner Zwillingsschwester dabei zuzuschauen, wie sie versuchte, tapfer zu sein, während sie wieder ein paar Jahre ihres Lebens verlor. Also ließ ich mich in der erbärmlichen Situation treiben, in der festen Annahme, dass Amy eines Tages das Kommando übernehmen und die Scheidung verlangen würde. Und dann würde ich als der Gute dastehen.
Dieser Wunsch – der Situation vorwurfsfrei entfliehen zu können – war verabscheuungswürdig. Je abscheulicher ich wurde, desto mehr sehnte ich mich nach Andie, denn sie wusste, dass ich gar nicht so schlimm war, wie ich vielleicht wirken würde, wenn wildfremde Menschen meine Geschichte in der Zeitung lesen könnten. Amy wird sich scheiden lassen, dachte ich. Sie kann die Sache nicht mehr lange auf sich beruhen lassen. Als der Frühling sich dem Sommer entgegenneigte, als der Herbst kam und dann der Winter, wurde ich ein Betrüger-Mann für jede Jahreszeit – ein Betrüger mit einer angenehm ungeduldigen Geliebten –, und es war klar, dass irgendetwas geschehen musste.
»Ich meine, ich liebe dich, Nick«, sagte Andie, hier, unwirklich, auf dem Sofa meiner Schwester. »Ganz gleich, was geschieht. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll, ich komme mir vor, als wäre ich ziemlich …« Sie warf die Hände in die Luft. »… ziemlich blöd.«
»Du darfst dir nicht blöd vorkommen«, beschwichtigte ich sie. »Ich weiß auch nicht, was ich sagen soll. Es gibt nichts zu sagen.«
»Du könntest sagen, dass du mich liebst, ganz gleich, was passiert.«
Ich dachte: Ich kann das nicht mehr laut aussprechen . Ein- oder zweimal hatte ich es gesagt, ein speicheliges Gemurmel an ihrem Hals, aus Heimweh nach irgendetwas. Aber die Worte waren draußen, und noch eine Menge mehr. Ich dachte an die Spuren, die wir hinterlassen hatten, unsere emsige, halb-geheime Liebesaffäre, über die ich mir nicht genügend Sorgen gemacht hatte. Falls Andies Wohnblock eine Sicherheitskamera besaß, war ich auf ihr zu sehen. Außerdem hatte ich ein Wegwerfhandy gekauft, ausschließlich für Andies Anrufe, aber meine Nachrichten auf ihrer Voicemail und meine SMS kamen auf ihrem sehr dauerhaften Handy an. Zum Valentinstag hatte ich ihr einen absolut nicht jugendfreien Gruß verfasst, den ich vor meinem inneren Auge schon in den Nachrichten sah und in dem ich Möse mit böse gereimt hatte. Und noch etwas: Andie war dreiundzwanzig, also konnte ich davon ausgehen, dass meine Worte, meine Stimme und wahrscheinlich sogar Fotos von mir inzwischen auf diversen elektronischen Geräten zu finden waren. Eines Abends hatte ich eifersüchtig, übergriffig
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