GONE Hunger
auf der Landebahn, flog sie auf die Dachkante zu. Um nicht in die Tiefe zu stürzen, hatte sie ihren Antrieb mit heftigen Beinbewegungen verstärkt und am Rand des Daches zu einem verzweifelten Sprung angesetzt. Der außer Kontrolle geratene Aufprall hätte sie beinahe das Leben gekostet.
Und jetzt? Jetzt war sie zwar auf dem höchsten Aussichtspunkt, konnte aber so gut wie nichts sehen.
»Sam bringt mich um«, murmelte sie.
Und dann, als sie ihr Knie beugte: »Autsch!«
Das Dach war ein paar Hundert Meter lang und ungefähr sechzig Meter breit. Sie bewegte sich rasch von einem Ende zum anderen. Die Zugangstür zum Dach war leicht zu finden: eine Stahltür in einem Aufbau aus Backsteinen. Von hier musste es runter in den Turbinenraum und weiter in die Steuerzentrale gehen.
»Logisch, dass es eine Tür gibt«, brummte Brianna. »Ich tu einfach so, als wäre das von Anfang an mein Plan gewesen.«
Sie drückte die Klinke herunter. Die Tür war abgesperrt.
»So ein Mist!«, schimpfte sie.
Brianna verspürte extremen Durst und noch extremeren Hunger. Auf diesem riesigen Dach würde sie bestimmt nichts zu essen finden, aber vielleicht gab es ja irgendwo Wasser. Als sie mehrere Klimaanlagen erblickte, jede von der Größe eines Eigenheims, fiel ihr ein, dass die Dinger normalerweise Kondenswasser erzeugten.
In einem fort »Au-au-au!« rufend, lief sie zur nächstgelegenen Anlage. Sie betrat den Raum, fand einen Lichtschalter und erspähte als Erstes eine Donut-Schachtel. Ihr Herz machte einen Freudensprung und sie stürzte sich darauf. Die Schachtel war jedoch bis auf ein mit rosa Glasur verschmiertes Seidenpapier und ein paar bunte Streusel leer.
Brianna schleckte das Papier ab. Mann, war das lange her, seit sie etwas Süßes auf der Zunge gehabt hatte. Danach wurde das Stechen in ihrem Magen aber noch schlimmer.
Sie entdeckte einen weißen Plastikschlauch, von dem sie nur hoffen konnte, dass er Wasser enthielt. Nicht weit davon entfernt stand eine kleine Stahlkiste auf dem Boden, die einen Schraubenzieher und ein paar Schraubenschlüssel enthielt. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie den Schlauch aufgeschlitzt und ihren Bauch mit eiskaltem Wasser gefüllt hatte. Danach ließ sie das Wasser über ihre Schürfwunden fließen und weinte laut, weil es so wehtat.
Jetzt kehrte sie mit dem Schraubenziehe r – einem großen und schweren Din g – zu der Stahltür zurück. Sie schob ihn in den Spalt zwischen Türgriff und Rahmen und drückte dagegen. Die Tür gab nicht nach. Keinen Millimeter.
Aus lauter Frust hieb Brianna mehrmals mit dem Schraubenzieher auf sie ein. Funken stoben auf und danach waren ein paar Kratzer zu sehen.
»Fantastisch«, sagte sie. »Ich bin auf dem Dach gefangen.«
Brianna wusste, dass ihre Wunden versorgt werden mussten. Ein Besuch bei Lana wäre jetzt genau das Richtige. Wenn das nicht ging, würde sie zumindest Bandagen und Antibiotika benötigen.
Am allerschlimmsten war jedoch der Hunger. Sie war bereits hungrig gewesen, als der Abend begonnen hatte. Dann war sie noch über fünfzig Kilometer gerannt. Mit nichts im Magen.
Wenn sie es recht bedachte, war ihre Lage in jeder Hinsicht fatal. Niemand wusste, dass sie hier oben war. Auch wenn sie so laut wie möglich schrie, würde ihr Hilferuf im Lärm der Turbinen untergehen.
Dann sah sie die Tauben.
»Oh Gott!«, flüsterte sie. »Nein.«
»Warum eigentlich nicht?«, widersprach sie sich selbst.
»Das ist doch eeeklig.«
»Okay, aber wo liegt der Unterschied zu einem Hähnchen?«
Sie holte sich die Donut-Schachtel und zerriss sie in lauter kleine Streifen. Dann fand sie noch eine alte Zeitung. Schließlich entdeckte sie eine Holzpalette, die sie mit einer Säge aus der Werkzeugkiste in übermenschlicher Geschwindigkeit in einen kleinen Holzhaufen verwandelte.
Die Arbeiter hatten leider keine Zündhölzer auf dem Dach zurückgelassen, aber wenn Stahl rasend schnell über Beton schrappte, entstanden bekanntlich Funken. Kurz darauf hatte sie ein Feuer angefacht. Ein knisterndes kleines Lagerfeuer mitten auf dem gigantischen Dach.
So, und jetzt zu den beiden im Schlaf gurrenden Tauben. Eine war grau, die andere zartrosa.
»Rosa«, entschied sie.
Normalerweise wären ihre Chancen, den Vogel zu fangen, gleich null gewesen. Aber sie war nicht normal. Sie war Breeze, der Wirbelwind.
Die Taube hatte nicht einmal Zeit aufzuwachen. Brianna packte sie am kleinen Kopf und brach ihr das Genick. Nach zwei Minuten in den Flammen waren die
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