GONE Verloren
jemand über nasse Kieselsteine schreiten.
Howard spähte in die Finsternis. Wer war das? Orc war es auf jeden Fall nicht.
»Welches Weibchen?«, fragte Drake. »Wer bist du?«
Die Wüste rund um den Wagen geriet in Bewegung. Von allen Seiten krochen Schatten heran. Howard wich zurück, Drake nicht.
»Wer ist da?«, rief Drake.
Ein räudiger Kojote mit einer vernarbten Schnauze trat in den Lichtkegel. Howard wäre beinahe hingefallen, als ihm klar wurde, dass der Kojote mit ihnen gesprochen hatte.
»Gib uns das Weibchen.«
»Nein!« Drake hatte sich blitzschnell gefasst. »Sie gehört mir. Sie muss meinen Arm heilen. Sie hat die Kraft und ich will meinen Arm wiederhaben.«
»Du bist nichts«, knurrte der Kojote.
»Ich bin der Junge mit der Waffe«, entgegnete Drake.
Die beiden starrten einander wortlos an. Howard hatte das Gefühl, dass sie einander gar nicht mal so unähnlich waren.
»Was hast du mit ihr vor?«, fragte Drake schließlich.
»Dunkelheit sagt: Bring Weibchen.«
»Dunkelheit? Was soll das sein?«
»Gib uns das Weibchen«, wiederholte Pack Leader seine Forderung. »Oder wir töten alle.«
»Vorher töte ich euch.«
»Du stirbst«, erwiderte Pack Leader störrisch.
»Hey, Leute«, schaltete sich Howard vermittelnd ein, »wir haben hier eine Pattsituation. Wie wär’s, wenn ihr euch auf was einigen würdet?«
Drake runzelte die Stirn. »Wovon redest du?«
»Du willst, dass das Weibchen deinen Arm heilt.«
»Ja.«
»Und Mr … äh … Kojote soll das Weibchen zu jemandem bringen, der Dunkelheit heißt.«
Pack Leader schien zu überlegen, wie er Howard am besten in seine Einzelteile zerlegen und fressen konnte.
»Okay«, sagte Howard kleinlaut. »Ich glaube, wir finden eine Lösung.«
Achtunddreissig
53 Stunden, 10 Minuten
»Astrid«, sagte Edilio, »das mit deinem Haus tut mir leid.«
Astrid drückte seine Hand. »Ja, das war hart.«
»Du könntest zu uns in die Feuerwehrzentrale ziehen«, bot Edilio an.
»Danke, aber Pete und ich werden eine Weile bei Mary und John wohnen. Sie sind fast nie zu Hause. Und wenn doch, dann … du weißt schon, es tut gut, Leute um sich zu haben.«
Astrid, Edilio und der kleine Pete befanden sich im Büro des ehemaligen Bürgermeisters von Perdido Beach, das bis vor Kurzem Caines Zentrale gewesen war. Sam hatte sich anfangs geweigert, das Büro zu beziehen, aber Astrid hatte gemeint, Symbole seien wichtig und die Leute wollten das Gefühl haben, dass jemand die Verantwortung übernahm.
»Wo ist Sam?«, fragte Astrid. »Und wieso sind wir hier?«
Edilio zögerte. »Wir müssen dir was zeigen.«
Die Tür ging auf und Sam kam herein. Er lächelte Astrid nicht an. Pete warf er einen argwöhnischen Blick zu. Nachdem er sie begrüßt hatte, sagte er: »Astrid, ich möchte dir etwas zeigen. Ich fände es aber besser, wenn der kleine Pete es nicht sieht.«
»Ist was passiert?«
Sam ließ sich in den Lederstuhl fallen, in dem Caine zuletzt gesessen hatte. Astrid war verblüfft, wie sehr sich die beiden ähnelten. Und wie unterschiedlich sie dennoch auf ihre Gesichtszüge reagierte. Während Caine seine Arroganz und seine Grausamkeit unter einer glatten, kontrollierten Oberfläche verbarg, gab Sams Miene seine Emotionen jederzeit preis. Im Moment sah er traurig, abgespannt und besorgt aus.
»Meinst du, Pete könnte mit Edilio im Zimmer nebenan warten?«
»Das klingt ja richtig unheimlich.«
Sam widersprach ihr nicht.
Es gelang Astrid, wenn auch nicht ohne Anstrengung, den kleinen Pete ins andere Zimmer zu führen. Edilio blieb bei ihm.
Sam hielt eine DVD in der Hand. »Gestern habe ich Edilio zum Kraftwerk geschickt. Er sollte eine Kiste mit automatischen Waffen aus dem Wachgebäude holen.«
»Maschinenpistolen?«
»Ja. Kann sein, dass wir sie brauchen, doch vor allem wollte ich verhindern, dass Caine und seine Leute sie bekommen.«
»Veranstalten wir jetzt ein Wettrüsten?«
Ihr Ton schien Sam zu irritieren. »Soll ich sie Caine überlassen?«
»So hab ich’s nicht gemeint«, sagte sie sanft. »Dreizehnjährige mit Maschinenpistolen – es ist einfach schwer vorstellbar, wie das gut gehen soll. Kein Wunder, dass du so finster dreinschaust.« Astrid hatte jedoch kaum ausgesprochen, als ihr klar wurde, dass Sam etwas ganz anderes bedrückte. Da war noch etwas. Etwas Schlimmeres. Die DVD.
»Wie du hab ich mich gefragt, warum der Mittelpunkt der FAYZ im Kernkraftwerk liegt. Also hat sich Edilio die Videoaufzeichnungen vom Kraftwerk
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