GONE Verloren
sprachen mit ihr, sagten ihr, dass sie sie lieb hatten – und erlaubten ihr dennoch nicht, nach Hause zurückzukommen.
»Es ist besser, wenn du eine Zeit lang nicht in der Stadt bist, mein Schatz«, sagte ihre Mutter jedes Mal. »Du sollst in Ruhe über alles nachdenken können und wieder einen klaren Kopf bekommen.«
Lana hatte eine Stinkwut auf ihre Eltern. Vor allem auf ihre Mutter. Die Wut war so stark, dass sie beinahe die unsäglichen Schmerzen vergaß.
Lana fragte sich, wie sie jetzt wohl aussah. Sie hatte sich noch nie für besonders hübsch gehalten, denn sie fand ihre Augen zu klein und ärgerte sich oft über die glatten dunklen Haare, in denen keine Frisur hielt. Doch jetzt, mit ihrem blau geschlagenen Gesicht, den grässlichen Schnittwunden und dem vielen Blut, musste sie aussehen wie eine Figur aus einem Horrorfilm.
Wo war Grandpa Luke? Sie konnte sich nur an die Sekunden vor dem Unfall erinnern, vom Unfall selbst war ihr nichts im Gedächtnis geblieben außer den verschwommenen bruchstückhaften Bildern von dem Raum, durch den sie geschleudert und dabei halb tot geprügelt worden war.
Das war alles so verwirrend. Ergab überhaupt keinen Sinn. Ihr Großvater war einfach verschwunden. Er hatte den Laster gefahren und sich von einem Moment auf den anderen in Luft aufgelöst. Sie konnte sich nicht erinnern, dass die Tür aufgegangen wäre. Warum sollte der alte Mann auch rausgesprungen sein?
Lana hatte schrecklichen Durst. Sie hob sachte ihren schmerzenden Kopf und drehte ihn, bis sie den Laster sah. Er lag nur wenige Schritte von ihr entfernt auf dem Dach, die Räder ragten nach oben und hoben sich schemenhaft vom Sternenhimmel ab.
Etwas krabbelte ihr über den Hals. Patrick richtete sich auf, spitzte die Ohren und lauschte auf das leise Geräusch.
»Pass ja auf, dass sich nichts an mich heranwagt!«, bat sie ihn.
Patrick bellte leise, als wollte er spielen.
»Ich hab nichts zu fressen«, sagte sie. »Ich hab auch keine Ahnung, was mit uns passieren wird.«
Ihr Hund legte sich wieder hin und ließ den Kopf auf seine Pfoten sinken.
»Wenn Mom mich so sehen würde, wäre sie sicher richtig froh, dass sie mich hierhergeschickt hat«, sagte Lana zynisch.
Ihr selbst wäre das in der Dunkelheit funkelnde Augenpaar gar nicht aufgefallen, wenn Patrick nicht plötzlich aufgesprungen wäre. Er sträubte die Nackenhaare und stieß ein Knurren aus, wie sie es noch nie von ihm gehört hatte.
»Was ist?«
Grüne Augen lauerten in der Dunkelheit. Sie waren auf Lana gerichtet.
Patrick, der wie verrückt bellte, tänzelte vor und zurück.
Der Puma stieß ein Brüllen aus, dem ein heiseres, kehliges Fauchen folgte.
Lana schrie ihn an. »Hau ab! Lass mich in Ruhe!« Ihre Stimme klang erbärmlich schwach.
Patrick lief davon, kehrte zu Lana zurück, fasste Mut, wandte sich um und stellte sich dem Puma in den Weg.
Der Kampf ging blitzartig los. Hund und Raubkatze stürzten sich knurrend aufeinander. Nach einer halben Minute war alles vorbei. Die leuchtenden Augen des Pumas tauchten weiter weg wieder auf, blinzelten einmal, starrten kurz zu Lana herüber und verschwanden.
Patrick kehrte langsam zurück. Er ließ sich schwerfällig neben ihr zu Boden sinken.
»Braver Hund«, flüsterte Lana. »Toll, wie du die Bestie verjagt hast. So ein guter Hund.«
Patrick wedelte kaum merklich mit dem Schwanz.
»Bist du verletzt? Hat sie dich gebissen?«
Mit ihrer unverletzten Hand strich sie dem Hund über den Rücken. Sein Nacken war nass, er fühlte sich glitschig an. Das konnte nur Blut sein. Als sie ein wenig Druck ausübte, wimmerte Patrick.
Dann spürte sie, wie es über ihre Hand strömte. In Patricks Nacken klaffte eine tiefe Wunde. Mit jedem Herzschlag wurde noch mehr herausgepumpt. Ihr Hund würde verbluten!
»Oh nein, nein!«, rief Lana. »Du darfst nicht sterben. Bitte nicht!«
Ohne ihn wäre sie ganz allein in dieser Wüste. Lana brach in Tränen aus. Sie weinte bitterlich, übermannt von einem Gefühl der Einsamkeit und einer entsetzlichen Angst.
Sie war schwer verletzt und außerstande, sich zu bewegen. Und der Puma würd e …
Die Panik schnürte ihr die Luft ab. Patrick musste weiterleben. Er durfte nicht sterben. Er war alles, was sie hatte.
Unter gewaltigen Schmerzen, die sie an den Rand der Ohnmacht brachten, schob sie sich näher an ihren Hund heran. Sie legte ihre Handfläche auf die Wunde und drückte so fest darauf, wie sie es wagte.
Sie würde die Blutung stoppen.
Sie würde nicht
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