GONE Verloren
erhob sich eine milchig weiße Wand. Sie lief quer durch die Schlucht und war unglaublich hoch.
Ihre schiere Größe und die Tatsache, dass sie wie ein Fremdkörper aus dem Nichts aufgetaucht war, jagten Lana furchtbare Angst ein.
Sie ging näher an die Wand heran. Patrick weigerte sich mitzukommen.
»Los, wir müssen uns das ansehen!«, rief sie.
Patrick war da anderer Ansicht, er rührte sich nicht von der Stelle.
Als sie davorstand, sah sie sich schwach darin gespiegelt.
»Wahrscheinlich ganz gut, dass ich mich nicht besser sehen kann«, murmelte sie.
Das getrocknete Blut hatte ihre Haare verfilzt, sie war völlig verdreckt und ihre Kleider waren zerrissen, bestanden eigentlich nur noch aus Fetzen.
Lana legte die letzten paar Schritte zur Barriere zurück und berührte sie mit dem Finger.
»Auuuh!« Ihre Hand schnellte zurück.
»Vielleicht so eine Art elektrischer Zaun?«, fragte sie sich leise. »Aber wieso gerade hier?«
Die Wand ließ ihr jedenfalls keine Wahl. Sie musste es noch einmal versuchen und an einer der beiden Flanken der Schlucht hochklettern. Das Problem war nur, dass die Farm mit ziemlicher Sicherheit auf der linken Seite lag und die stieg kerzengerade nach oben. Dafür hätte Lana ein Kletterseil und Felshaken benötigt.
Auf der rechten Seite konnte sie es schaffen, wenn sie sich über die abgestürzten Felsbrocken und Vorsprünge hochzog. Doch dann läge die Schlucht zwischen ihr und der Farm.
Die Alternative wäre gewesen, den ganzen Weg zurückzulaufen. Lana und Patrick hatten den halben Tag gebraucht, um hierherzugelangen. Gingen sie jetzt zurück, wären sie bis zum Anbruch der Dunkelheit wieder dort, wo sie losgezogen waren – sie würden an ihren Ausgangspunkt zurückkehren, um dort zu sterben.
»Komm, Patrick, wir müssen hier raus.«
Der Aufstieg schien eine geschlagene Stunde zu dauern und ihr die letzten Kräfte zu rauben. Hinzu kam, dass sie sich die ganze Zeit von der unheilvollen Wand beobachtet fühlte, die ihr inzwischen wie ein lebendiges Wesen vorkam, eine unermessliche und bösartige Kraft, die wild entschlossen war, sie aufzuhalten.
Als Lana den Rand der Schlucht erreicht hatte, schirmte sie die Augen mit der Hand ab, um sie vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen, und blickte sich in alle Richtungen um.
In diesem Moment wäre Lana beinahe zusammengebrochen. Weit und breit keine Straße. Keine Spur von der Farm. Nur eine staubtrockene Ebene, die nach rund zwei Kilometern auf einen endlosen Gebirgskamm stieß, wo sie wieder klettern müsste.
Und außerdem diese schreckliche Wand, die gar nicht da sein dürfte.
In der einen Richtung schnitt ihr die Schlucht den Weg ab, in der anderen der Gebirgskamm und in der dritten die Wand, die über der Landschaft lag, als wäre sie vom Himmel gefallen. Ihr blieb keine andere Wahl, sie musste denselben Weg zurückgehen.
Lana spähte blinzelnd zu dem in der Ferne liegenden Gebirge.
»Moment!«, rief sie. »Dort ist irgendwas.«
An die Wand geschmiegt, nicht weit vom Fuß der Berge entfernt, flimmerte ein grüner Streifen in der Hitze. Das konnte nur eine Fata Morgana sein.
Aber der grüne Streifen blieb und wurde mit jedem ihrer Schritte größer.
Halb blind vom unbarmherzig starken Licht der Sonne, schleppte sich Lana vorwärts, bis ihr Fuß plötzlich auf eine Wiese trat.
Ihre Zehen spürten das weiche, saftige Gras.
Die Wiese war winzig, vier mal vier Meter. In ihrer Mitte stand ein Rasensprenger. Er war nicht aufgedreht, aber an einen Gartenschlauch angeschlossen. Der Schlauch lief um eine kleine, fensterlose Holzhütte herum.
Die Hütte war kaum größer als ein Zimmer. Hinter ihr befand sich ein zur Hälfte eingestürzter Verschlag. Und eine Art Windmühle, eigentlich nur ein alter Flugzeugpropeller, der auf einem sechs Meter hohen, baufälligen Turm befestigt war.
Lana taumelte den Schlauch entlang. Er mündete in einen Stahltank, der unter der behelfsmäßigen Windmühle auf einer Plattform aus Eisenbahnschwellen stand. Unter der Windmühle ragte ein rostiges Rohr aus der Erde. Der Gartenschlauch steckte in einem am Tank angeschweißten Wasserhahn.
»Ein Brunnen, Patrick!«
Lana zerrte hektisch an dem Schlauchanschluss.
Er löste sich.
Sie drehte am Wasserhahn. Er ließ sich bewegen. Heißes Wasser, das nach Mineralien und Rost roch, schoss hervor.
Lana trank. Patrick auch.
Sie ließ das Wasser über ihr Gesicht laufen. Ließ es durch das verfilzte Haar strömen und wusch das Blut heraus.
Doch sie
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