Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
verzerrende, dicke Schicht. Wenn ich nach draußen starrte, schmolz ich mit meinen blau werdenden Fingern Kreise hinein und versuchte, zum durchsichtigen Glas vorzudringen.
Eines Nachmittags zog ich eine Ecke der Mülltüten in der Küche ab, um zu sehen, wie die Rückseite unseres Gebäudes aussah. Es war ein klarer Tag. Als ich durch die Öffnung spähte, blickte ich auf das Dach eines großen Anbaus auf
Erdgeschosshöhe hinunter. Dort musste der Dollar Store seine Warenüberstände gelagert haben. Die ehemaligen Bewohner des Hauses hatten so viel Abfall auf das Dach geworfen, dass es kaum noch zu erkennen war, aber ich entdeckte trotzdem ein großes Loch, das niemand zu reparieren für nötig befunden hatte. Eine alte Zeitung hing am ausgefransten Rand des Lochs und flatterte im Wind. Wenn es schneite oder regnete, wurde es in diesem Anbau bestimmt klatschnass.
Vom Küchenfenster aus hatte ich auch Einblick in Mr Als Gebäude, dessen Hauswand weiter vorstand als unsere. Die Wohnung, die ich am besten sehen konnte, lag im gleichen Stockwerk wie unsere und kam mir seltsam nah vor. Obwohl sie zu einem ganz anderen Gebäude gehörte, war sie nur wenige Meter entfernt. Ich hätte einen Besen hinausstrecken und ans Fenster klopfen können. Hinter der Scheibe machte ich die Silhouette einer schlafenden schwarzen Frau aus. Sie trug nur ein dünnes Hauskleid, in ihrer Wohnung musste es also eine Heizung geben. In den Haaren hatte sie Lockenwickler, und ihr Arm schloss sich zärtlich um eine kleine, eingewickelte Gestalt. Ich begriff, dass es ein Baby war. Der Rest der Matratze war mit verhedderten Kleidungsstücken übersät, und über der Frau und ihrem Baby fehlte ein dreieckiges Stück Putz in der Wand. Aber ich konnte sehen, wie sehr sie sich liebten, trotz ihrer Armut, und ich sehnte mich nach den einfacheren Zeiten zurück, die Mama und ich miteinander verbracht hatten.
Als es zu kalt wurde, um weiter hinauszuspähen, klebte ich die Mülltüte wieder an ihren Platz.
Am nächsten Tag hatte ich gerade die Fabrik betreten, als ich Matt entdeckte, der gerade eine riesige Segeltuchkarre mit stapelweise malvenfarbenen Röcken zur Säumabteilung zog. Der
Kleiderberg ragte drohend über ihm auf, und er musste rückwärts gehen und die ganze Kraft seiner dünnen Arme aufwenden, um die Karre überhaupt vom Fleck zu bewegen. Ich warf mir die Büchertasche über die Schulter und wollte gerade zu unserer Arbeitsstation gehen, als er mir überraschend auf Chinesisch zurief: »He, könntest du mir kurz helfen?«
Ich ging zu ihm und legte die Hände an das hintere Ende der Karre. Obwohl er vorne zog, musste ich die Füße in den Boden stemmen, damit die hinteren Räder auf dem rutschigen Boden nicht zur Seite ausscherten.
Er legte den Kopf zur Seite, um mich um die Röcke herum sehen zu können. »Und, hattest du Spaß in der Schule?«
»Ja«, antwortete ich.
»Komische Schule, in die du da gehst. Alle anderen Schulen in New York sind heute nämlich geschlossen.«
Meine Augen weiteten sich.
»Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Merkt doch jeder, dass du schwänzt.«
»Schhhhht!« Ich blickte mich um, um zu sehen, ob uns jemand gehört hatte.
Er redete ungerührt weiter: »Ich hab dich noch nie irgendwelche Hausaufgaben machen sehen.«
»Du hast auch nie Hausaufgaben.«
»Weil ich meine nie mache. Aber du wirkst auf mich, als seist du sonst eine echte Hausaufgabenmacherin.«
Ich äußerte meine eigentliche Sorge: »Glaubst du, meine Mutter hat gemerkt, dass ich schwänze?«
»Nee. Ich weiß es auch nur, weil ich schon selbst geschwänzt habe.«
»Echt?« Er wurde mir immer sympathischer.
»Aber ich habe gerade gehört, wie sich eine Frau bei deiner Mutter beschwert hat, dass wir an Thanksgiving arbeiten
müssen. Das ist hier ein wichtiger Feiertag. Wie auch immer, du überlegst dir besser schnell eine Ausrede.«
Meine Gedanken überschlugen sich, japsend und inhaltslos. »Aber was?«
Er dachte einen Moment nach. »Sag, du hättest es erst gemerkt, als du schon in der Schule warst. Dann bist du nach Hause gegangen und hast zuerst deine Hausaufgaben gemacht, weil du bis nächste Woche eine wichtige Projektarbeit fertig haben musst.«
Wir hatten inzwischen die Säumabteilung erreicht, die im vorderen Teil der Fabrik lag, neben Onkel Bobs Büro. Wir ließen die Karre los, die noch einen halben Meter allein weiterrollte, bevor sie stotternd zum Stehen kam.
»Ich bin dir was schuldig.« Mama hatte mir beigebracht,
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