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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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Wohnung entfernt. Sie ging gern von der Straßenbahnhaltestelle zur Medizinischen Hochschule, an der sie lehrte, vorbei an den Fassaden aus dem 18.   Jahrhundert, vorbei an Zeitungskiosken, an denen Stalins Konterfei noch zwei weitere Jahre hindurch auf der Titelseite einer jeden Zeitschrift prangen sollte. Sie mochte die perlmutterfarbenen Kuppeln der Smolni-Kathedrale, die dem Himmel über Leningrad so ähnlich waren; sie mochte die breiten Prachtstraßen im Stadtzentrum und die verschachtelten Innenhöfe. Sie mochte die Lebensmittelläden, deren mit Sägespänen bestreuten Fußböden und verlockenden Düfte nach Käse, Fleischwurst und manchmal sogar Rindfleisch.
    Nach den vierhundert Gramm Brot der Kriegsration in Iwanowo schien Leningrad der gastronomische Himmel auf Erden zu sein. Es gab Brotläden und Milchläden und Fleischläden. Mehl schwebte in der warmen, wohlriechenden Luft der Bäckereien; kastenförmiges säuerliches Schwarzbrot lag Seite an Seite mit Weißbrotlaiben auf dem Ladentisch. In den Milchladen nahm sie einen Drei-Liter-Behälter aus Aluminium mit, der von einer Frau mit Schürze hinter der Theke gefüllt wurde, und von den drei Käsesorten mit den geopolitischen Bezeichnungen russisch, sowjetisch und schweizerisch kaufte sie ein Kilo russischen, der am wenigsten kostete, aber den intensivsten Geschmack hatte. Es gab Läden, die vor Süßigkeiten nur so überquollen: Kekse mit Mustern aus Turmspitzen, die der neuen Silhouette von Moskau glichen, drei Sorten Lutschbonbons, gläserne Verkaufstresen mit Haufen von
suschki
, winzigen, trockenen Kringeln, die so hart waren, dass man sich die Zähne daran ausbeißen konnte. Es gab sogar in Silberpapier eingewickelte Schokoladenriegel namens
Sowjetischer Bauarbeiter
, |36| die einladend aus einer Papierhülle mit dem Bild eines muskulösen Mannes, der einen Hammer schwang, hervorlugten.
    Mein Vater bot ihr genau das, wonach sie sich sehnte, nämlich Stabilität. Aber sie erhoffte sich von dieser Heirat noch etwas anderes, etwas, das genauso wichtig war, wie aus ihrer Heimatstadt herauszukommen, etwas Emotionales, das nicht für Geld zu haben war. Etwas, das mein Vater als unmöglich abtat. Sie sei neununddreißig, zu alt für ein weiteres Kind, sagte er. Und er sei vierzehn Jahre älter. Wenn ihn jemand mit einem kleinen Kind sähe, würde man ihn für dessen Großvater halten. Deduschka, würde man zu ihm sagen, was haben Sie doch für ein reizendes Enkelkind.
    Meine Mutter brachte alle nur erdenklichen Argumente vor, doch vergebens; dann verhütete sie einfach nicht mehr. Das erzählte sie meinem Vater erst, als sie im fünften Monat schwanger war. Er tobte und drängte sie zu einer Abtreibung.
    »Dafür ist es zu spät«, sagte sie. »Zu diesem Zeitpunkt ist es gefährlich.«
    »Treib trotzdem ab«, forderte er mit schriller, ungewohnter Stimme, als hätte er ihr nicht zugehört, als hätte sie nicht ihren eigenen Zustand, sondern den einer anderen als gefährdet bezeichnet.
    »Ich werde mein Leben nicht aufs Spiel setzen«, sagte sie in strengem Tonfall, wobei sie jede einzelne Silbe betonte.
    Mein Vater sprach nicht mehr mit ihr. Sie sprach auch nicht mehr mit ihm. Sie schnitt schweigend Rote Beete für Borschtsch, stellte einen Teller auf den Küchentisch und auf dem Herd einen Topf warm, und er aß schweigend, rauchte seine Papirossy und hüllte alles in der Küche in dichte Rauchschwaden.
    Als die Wehen einsetzten und sie sich selbst auf die Entbindungsstation einwies, rief mein Vater seinen Fahrer Wolodja zu sich und forderte ihn auf, zum Krankenhaus zu fahren. Wolodja |37| in seinem zerknitterten braunen Anzug, der auf dem Rücken glänzte, hatte auf diesen Anruf gewartet, nachdem Verwandte und Freunde tagelang hinter vorgehaltener Hand getuschelt hatten. Draußen fegte ein feuchter Wind von der Ostsee her durch die Stadt, trieb Zigarettenkippen und entwertete Busfahrscheine in die Höfe und umspülte die Zweige der Linden mit lauwarmer Luft. Unterwegs hielten sie an einer U-Bahn -Station, an der eine Frau aus einem Eimer Blumen verkaufte   – vermutlich Päonien, denn es war Ende Juli   –, und mit diesem Strauß, den er wie einen Besen in der Hand hielt, marschierte mein Vater in die Eingangshalle des Krankenhauses, wo er von einer Dame am Empfang erfuhr, dass er Vater einer Tochter geworden sei.
    Die Nachricht verblüffte ihn zunächst, dann wurde er wütend. Wie konnten sie nur, dachte er. Ein Mädchen! Er machte unter den

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