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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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Schwester heißes Wasser aus einem Teekessel über ein gefaltetes Handtuch im Waschbecken. Mein Vater liegt mit geschlossenen Augen im Bett unter der Decke, seine nussfarbenen Arme ruhen auf dem weißen Federbett.
    »Wo ist Mama?«, frage ich, verwundert, dass sie ausgerechnet jetzt nicht da ist.
    Mein Vater öffnet die Augen und versucht zu lächeln.
    »Sie ist bei den Nachbarn und ruft im Krankenhaus an«, sagt Marina, die mit dem Handtuch hereinkommt und es auf Vaters Kopf legt. »Sie haben sich endlich bereit erklärt, ihn aufzunehmen. Vierzig Jahre in der Partei, und wir mussten jeden Idioten im Bezirkskomitee auf Knien anflehen.«
    »Komm her«, sagt mein Vater und klopft mit seinen Fingern auf die Decke. Er versucht nicht sich aufzusetzen, was ungewöhnlich ist, da er nicht gern im Bett liegt. »Komm her, Bruder Hase.«
    Ich sitze da, wo seine Hand auf die Decke geklopft hat, und er starrt in mein Gesicht, mit Augen, die im elektrischen Licht dunkel sind, so unergründlich wie das Wasser unter unserem Fischerboot.
    »Wie geht’s voran mit deinem Englisch?«, fragt er, wobei seine Worte kaum zu hören sind und jeder Atemzug von einem leisen Pfeifen begleitet wird. »Wann ist diese Prüfung?«
    |120| »Montag«, sage ich. In zwei Tagen wird ein Test darüber entscheiden, ob ich in Zukunft mit dem Bus zu einer neuen Schule fahre oder auf meiner Bezirksgrundschule bei Wera Pawlowna bleibe, die mit Vorliebe über Stalin und den Heldenmut des Großen Vaterländischen Krieges spricht.
    »Du bist ein schlauer Bruder Hase«, sagt mein Vater und bedeckt meine Hände mit seiner Handfläche. Seine Finger sind kühl und ledern, und wenn ich mich zu ihnen herabneige und sie mit meiner Wange berühre, duften sie nach Tabak.
     
    Meine Mutter und meine Schwester begleiten ihn zum Fahrstuhl und dann nach unten zum wartenden Taxi. Er hat seine Arme um ihre Schultern gelegt und hängt zwischen ihnen, mit einem übergeworfenen offenen Regenmantel über den langen Unterhosen, als sei es inzwischen unwichtig, was er anhat, als spiele er für die Außenwelt, die Straßenkleidung trägt, keine Rolle mehr. Meine Mutter hilft ihm ohne sichtliche Mühe ins Auto, als wäre er so leicht wie eine Feder. Ich sehe durch das Fenster, wie er sich, steifbeinig und schmächtig in seinen Unterhosen, so blass wie der Himmel, auf dem Rücksitz zurücklehnt.
    Sobald meine Mutter auf dem Vordersitz Platz genommen hat, fährt das Auto los, und Marina und ich winken ihnen nach, doch weder Mama noch Papa drehen sich zu uns um.
     
    Am Montag geht meine Mutter mit mir in meine neue Schule, allerdings gibt sie mir nur Geleitschutz. Schließlich ist es meine Prüfung. Es ist eine Angelegenheit zwischen mir und der englischen Sprache.
    Die Flure der Schule sind leer, der breite Treppenaufgang wirkt sowohl einladend als auch einschüchternd. Der Prüfungsraum ist klein, ganz anders als die riesigen Räume meiner |121| Schule, die vierzig Schüler aufnehmen müssen.
»Sdrawstwujte«
, sage ich betont höflich zu einer würdevoll aussehenden Frau an einem Schreibtisch. »How do you do«, antwortet sie.
    Sie gibt mir eine Geschichte in englischer Sprache aus einem Buch über Tiere, die ich lesen und nacherzählen soll. Wörterbücher sind nicht erlaubt, aber ich darf mir Notizen machen. Zunächst verschwimmen die Wörter wie winzige schwarze Gestalten in einem irrwitzigen Tanz. Ich schließe die Augen und denke an meinen Vater, dadurch werden die Wörter langsamer und bilden allmählich ein Muster. Ich sitze dort, solange die Frau es mir gestattet, und lese immer wieder die Geschichte über einen Tiger und einen Affen und versuche, sie mir einzuprägen, wobei ich in dem Buch verzweifelt nach den Wörtern suche, die ich mir nur schwer merken kann.
    Schließlich zitiert sie mich an ihren Schreibtisch in der Ecke, einen sehr bescheidenen, sehr britischen Schreibtisch. In ihrem feierlichen Englisch fängt sie an, mir Fragen zu stellen. Aus dem Gedächtnis schildere ich den Tiger, der im Dschungel lebte: sein Aussehen, sein Wesen, seine Gewohnheiten. Die Fragen der Lehrerin hallen durch den kleinen Raum, ihre Aussprache klingt überwältigend fremd, lauter rollende, trällernde Klänge, wie es sie in unserer geschmeidigen russischen Sprache nicht gibt. Ihr elastischer Mund bewegt sich auf rätselhafte Weise, indem die Lippen sich öffnen und seitlich zu einer Art geziertem Lächeln dehnen, dabei weiß ich sehr wohl, dass sie nicht lächelt.
    »Hu-els lived in the

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