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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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jungle?«, fragt sie, und ich bemerke mit Schrecken, dass ich die Frage nicht verstehe. Ich kann mich an keine
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in der Geschichte erinnern, dabei muss, wenn sie diese Frage stellt, mindestens einer darin vorgekommen sein. Ich schweige und versuche verzweifelt, mich an jede einzelne Figur zu erinnern, wobei selbst flüchtige Blicke ins Buch mir |122| nicht weiterhelfen. Sie wiederholt ihre Frage; ich schweige; sie wiederholt sie noch einmal. Ich hege die vage Hoffnung, dass im allerletzten Augenblick, wie in einem Märchen, wenn die Prinzessin kurz davor ist zu sterben, ein schöner
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auf einem weißen Hengst auftaucht, ein Retter, der mich in das strahlende Königreich des Englischen entführt. Entsetzt und beschämt starre ich auf die Tischplatte und höre das Blut in meinem Kopf rauschen, weil mir klar wird, dass dies das Ende von allem sein könnte, was noch nicht einmal begonnen hat: Ich werde nie einen
living room
oder einen Couchtisch haben, mein Haar wird immer lang und zu Zöpfen geflochten und meine Strümpfe werden immer aus Baumwolle sein.
    »Wie war der Test?«, fragt meine Mutter. Während ich dort drinnen war, hat sie auf einem Bauernmarkt die nahrhaften Köstlichkeiten besorgt, die sie Papa ins Krankenhaus mitbringen wird. Ihre Arme werden niedergezogen von Einkaufsnetzen mit Birnen aus dem fernen Aserbaidschan, riesigen feuerroten Tomaten aus Georgien sowie Korianderbüscheln und anderem Grünzeug, das mein Vater nie und nimmer anrühren wird.
    »Ganz gut«, sage ich und gehe in Richtung Ausgang.
    »Was musstest du machen?« Sie eilt hinter mir her.
    »Eine Geschichte.« Ich gehe weiter. »Lesen und nacherzählen.«
    »Gab es irgendwelche Wörter, die du nicht kanntest?«
    »Ein paar.« Ich stoße die Eingangstür auf und atme tief durch. »Können wir jetzt nach Hause gehen?«
    Zu Hause reden wir nicht über Vaters Krankheit. Wir reden über den Nährwert der Hühnerbrühe, die meine Mutter kocht und in bauchige Gläser füllt, in denen sie auf dem Fensterbrett abkühlt, während sich unter den Deckeln eine gelbe Fettschicht absetzt. Sie wird die Gläser ins Krankenhaus bringen, da das |123| dortige Essen von den Schwestern und Pflegern einkassiert wird. Wir reden darüber, dass es keine Straßenbahnlinien direkt bis zum Krankenhaus gibt, weshalb sie und manchmal auch meine Schwester die Einkaufsnetze mit den Gläsern voller Brühe und der Ausbeute ihrer Marktgänge fast einen Kilometer von der letzten Haltestelle bis auf seine Station schleppen müssen.
    Sie nimmt mich nie mit: Kinder sind im Krankenhaus nicht zugelassen. Ich folge ihr hinunter zur Telefonzelle vor unserem Wohnblock und warte, an die quietschende Tür gelehnt, bis sie den täglichen Anruf bei einer Frau in der Krankenhausinformation erledigt hat. Näher kann ich meinem Vater nicht kommen.
     
    Auf unserem Weg nach unten zur Telefonzelle fängt der Aufzug zwischen den Stockwerken plötzlich an zu ruckeln und droht stecken zu bleiben. Draußen sickern Wolken durch die Lücken zwischen den Gebäuden und verheißen für morgen weiteren Regen.
    Ich stehe neben der Telefonzelle und lehne mich an die Tür. Ich möchte nicht hören, was meine Mutter sagt; ich möchte die Antworten nicht erraten. Ich möchte nur dort bleiben   – außerhalb dessen, was passiert, am Rande des eigentlichen Geschehens, am Rande dessen, was man mir nicht erzählt.
    Dieses Mal bleibt meine Mutter länger als gewöhnlich am Telefon, während ihre Lippen sich langsam zu einer ungewohnten, schutzlosen geschwungenen Linie herabsenken. Sie scheint Fragen zu stellen; sie bedeckt ihre Augen mit der Hand, während sie den Antworten lauscht.
    »Was, Mama, was? Was haben sie gesagt?«, frage ich. Ich möchte es wissen und auch wieder nicht.
    »Eigentlich nichts richtig Neues.« Sie versucht, ihren Mund |124| wieder unter Kontrolle zu bringen. »Sie werden Papa eine andere Medizin geben. Die alte wirkt nicht so gut. Mehr nicht.«
    Sie greift nach meinem Arm und zerrt mich entschiedenen Schrittes so eilig über den unebenen Asphalt des Hofes, dass ich, um mit ihr Schritt halten zu können, hinter ihr herhüpfen muss.
    Zu Hause verstecke ich mich unter den Garderobenhaken, zwischen den zerknitterten Regenmänteln, ganz allein, da meine Mutter und meine Schwester in der Küche beide so tun, als würden sie das Abendessen zubereiten. Ich möchte eigentlich nicht hören, worüber sie sich unterhalten, und doch bleibe ich stehen und spitze die Ohren. Durch die

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