Google-Mitarbeiter Nr. 59
und seinen Zugang zu Google unterbrachen. Wenn sich der ISP weigerte, mitzuspielen, legte Ray nach – er blockierte den Google-Zugang aller User dieses ISPs. Das zog für gewöhnlich. Auf diese Weise hat Ray fast ganz Frankreich von Google abgeklemmt. Und ob das dem französischen ISP auffiel, vor allem weil dieser gerade mit uns in Verhandlung stand, um einer unserer größten Kunden zu werden. Ray hatte nichts gegen die Franzosen. Mit den Deutschen machte er das Gleiche. Auch mit einer großen amerikanischen ISP, allerdings postete er eine Nachricht an deren Kunden, die sich beschwerten. »Kurz gesagt«, schrieb er, »hat ein User Ihres ISPs Google missbräuchlich genutzt. Bedauerlicherweise sind wir nicht in der Lage, lediglich den Zugang dieses einen Users zu blockieren. Da Ihr ISP nicht reagiert, blieb uns keine andere Wahl, als eine große Zahl von IP-Adressen zu blocken.«
Cindy war, wie sie es ausdrückt, »ungehalten«, als sie Rays Kommentar in der Titelstory von CNET zitiert fand, in dem beschrieben wurde, wie unhöflich Google seine Kunden behandelte. Sie »schlug vor«, dass ich bei Service-Unterbrechungen die Kommunikation mit den Usern übernehmen und mit Ray »daran arbeiten solle«, die Spitzen aus seinen Formulierungen herauszunehmen. Ich hatte Mühe, Schritt zu halten, denn Ray war die Initiative in Person. Laut Unternehmensorganigramm gehörte er nicht zum Bereich Geschäftsentwicklung, er ließ sich jedoch nie von Linienvorgesetzten in Schranken weisen.
»Um ehrlich zu sein«, sagte Ray einem Geschäftspartner, der seinen Vertrag über Google-Technologie verlängern wollte, »ist uns zwar klar, welchen Nutzen Sie aus dieser Verbindung ziehen, aber was es uns bringt, ist uns schleierhaft. Angesichts dessen wäre es eine armselige Geschäftspraktik unsererseits, den Vertrag zu verlängern. Sollte ich also nichts Wesentliches übersehen haben, dann möchte ich Sie bitten, das Durchführen von Google-Suchen unverzüglich einzustellen.«
Viele Dinge machten Ray wütend. Er schickte umfangreiche Mitteilungen an sämtliche Google-Mitarbeiter, in denen er sie aufforderte, mehr Ordnung in der Küche und den Umkleideräumen zu halten, die Vorgehensweise bei Vorstellungsgesprächen sowie unsere Sicherheitsvorkehrungen, persönlichen Angewohnheiten und unsere Grammatik zu verbessern. Außerdem ermahnte er uns, Müll stets zu trennen. Hatte sich doch einmal eine Laus in seinen Pelz gesetzt, so wartete er nicht, ob sie von allein wieder hinausfand. »Können wir bitte, bitte, bitte die Beziehung mit diesem Partner endlich beenden?«, drängte er Larry, als ihn ein weiterer Partner nervte. »Und wenn es nur ist, um mich glücklich zu machen.«
Impulsiv und eigensinnig, Ray war für mich immer Googles Technologie in Person, ein einsamer Cowboy, der in schreiend pinkfarbenen Shorts entlang der elektronischen Zäune patrouillierte, die Hacker stellte und dann in den Sonnenuntergang davonritt, der nur halb so farbenprächtig war wie er.
Ein einzelner Techniker, der so mächtig war, entsprach den Voraussetzungen, die der Google-Kultur innewohnten. Individuen wurden als fähig angesehen, die Auswirkungen ihrer Handlungen abzuwägen, und es wurde davon ausgegangen, dass ihnen das Wohl Googles (und das der User) am Herzen lag. Wir wurden ermutigt, ohne zu zögern im Sinne dieser Interessen zu handeln. Verbringe deine Zeit mit Handeln – nicht mit Entscheiden.
Von allen Bestandteilen des »Großunternehmen-Denkens«, von denen ich mich verabschieden musste, war dies eines der schwierigsten. Ich suchte ständig die Rückversicherung, dass ich ermächtigt war, den nächsten Schritt zu tun, und wurde jedes Mal gefragt: »Du hast es noch nicht getan?« Der Vorteil dieser Philosophie ist, dass bei Google alles schnell getan wurde, was sich meistens als positiv erwies. Die Kehrseite ist, dass einzelne Googler manchmal falsch einschätzten, wie viel Macht genau sie besaßen und wann es in Ordnung war, diese anzuwenden.
Shari hatte diese Kehrseite auf die harte Tour kennengelernt. Bei Larry und Sergey hatte sie die Belastbarkeitsgrenze erreicht. Die beiden unterstützen Sharis Zusammenarbeit mit der Werbeagentur nicht. Aber ohne externe Hilfe kam Shari nicht weiter. Frustriert warf sie das Handtuch.
Bei ihrer Abschiedsparty in einem mexikanischen Restaurant verabschiedete ich mich von dem einzigen anderen Menschen bei Google, der die Praxis des Branding zur Kundenakquisition völlig verstand. Google machte kein
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