GOR-Zyklus 02 - Der Geächtete von Gor
stellt, mein Leben teuer zu verkaufen. Doch das große Ungeheuer, mein gefiederter Riese, der sich vielleicht wochenlang in der Nähe der Verhandlungssäule heru m getrieben hatte, landete etwa dreißig Meter von mir en t fernt auf der Ebene; schüttelte seine großen Flügel und kam auf mich zu.
Aus ebendiesem Grunde war ich zur Säule zurückg e kehrt – in der Hoffnung, daß sich der Vogel aus dieser Gegend nicht fortbewegt hatte. Die Jagdgründe waren gut, und die Felsspitzen, auf die ich die Tatrix gebracht hatte, boten Schutz und Unterkunft für die Nacht.
Als er in meine Nähe kam und seinen Kopf vorstreckte, fragte ich mich, ob nun etwa das Unmögliche Wirklic h keit geworden war, etwas, das es eigentlich nicht geben konnte, daß nämlich der Vogel auf mich gewartet hatte.
Er zeigte keinerlei Widerwillen und keine Erregung, als ich auf seinen Rücken sprang und ihm zurief: »Erster Zügel!«, woraufhin er sich mit schrillem Schrei und g e waltigem Satz in die Luft erhob; seine mächtigen Flügel knallten wie Peitschen und hoben ihn mit schneller B e wegung in die Luft.
Als wir die Verhandlungssäule passierten, mußte ich da r an denken, daß ich hier von der früheren Tatrix von Tharna verraten worden war. Und ich fragte mich, was aus ihr g e worden sein mochte. Ich wunderte mich auch über ihren Verrat, über ihren seltsamen Haß auf mich, der so wenig zu dem einsamen Mädchen auf dem Felsgrat zu passen schien, das sich die Talenderblumen angesehen hatte, während ich mich an der Beute meines Tarn sättigte. Dann erfüllte mich neue Wut bei der Erinnerung an ihre herrische G e ste, an ihren unverschämten Befehl: »Ergreift ihn!«
Was immer sie erlebt haben mochte – ich redete mir ein, daß es wohlverdient sein müßte. Und doch hoffte ich, daß sie vielleicht nicht den Tod gefunden hatte. Ich fragte mich, welche Rache Dorna die Stolze an ihr g e nommen hatte, und bedrückt stellte ich mir vor, daß sie Lara womöglich in eine Ostgrube geworfen oder in sti n kendem Tharlarionöl bei lebendigem Leibe verbrannt hatte. Vielleicht hatte sie sie auch unbekleidet den hun g rigen Blutpflanzen Gors überlassen oder sie in den Ve r liesen unter ihrem Palast den Urts zum Fraße vorgewo r fen. Ich wußte, daß der Haß eines Mannes schwach sein kann im Vergleich zu den Gefühlen einer Frau, und wa g te mir nicht weiter auszumalen, was Dorna die Stolze mit ihrer Gefangenen gemacht hatte.
Der Monat der Tag- und Nachtgleiche, genannt En ’ Kara, oder der erste Kara, war angebrochen, was wörtlich übe r setzt die ›erste Wende‹ bedeutet und sich auf die Sonne bezieht. Der goreanische Kalender ist übrigens ein ko m pliziertes Ding und treibt die Schriftgelehrten dieser Welt zur Verzweiflung. Denn auf Gor zählen die Städte ihre Zeit nach der eigenen Liste von Administratoren; zum Beispiel wird ein Jahr als das Zweite Jahr, nachdem S o undso Administrator war, bezeichnet. Man würde sich denken, daß die Kaste der Wissenden eine gewisse Stab i lität in den Kalender bringen könnte, da sie doch ihre F e ste und Opferfeiern in Listen festhielten – doch die Wi s senden der verschiedenen Städte feiern nicht immer die gleichen Feste. Wenn der Höchste Wissende Ars be i spielsweise seine Hegemonie über die Hohen Wissenden feindlicher Städte ausdehnen könnte – eine Hegemonie, die er längst beansprucht –, wäre ein einheitlicher Kale n der vielleicht denkbar. Aber bisher hat Ar über andere Städte noch nicht militärisch gesiegt, und so sehen sich die Wissenden anderer Städte im Schutz des Schwertes als frei und unabhängig an, als höchste Instanzen ihrer jeweiligen Gemeinde.
Es gibt jedoch einige Faktoren, die die Situation nicht gar so hoffnungslos erscheinen lassen. Zum Beispiel die Märkte am Fuße des Sardargebirges, die viermal im Jahr stattfinden und fortlaufend numeriert werden. Ein zweiter Umstand besteht darin, daß manche Städte bereit sind, in ihren Unterlagen neben ihren eigenen Daten die Zeitme s sung Ars anzugeben, die die größte Stadt auf Gor ist.
Dort wird die Zeit nicht nach der Folge ihrer Admin i stratoren gemessen, sondern von der mythischen Grü n dung durch den ersten Menschen auf Gor, einem Helden, den die Priesterkönige nach allgemeinem Glauben aus dem Schlamm der Erde und dem Blut von Tarns geformt haben. Die Zeit wird ›Contaste Ar‹ oder ›seit der Grü n dung Ars‹ gerechnet. Das laufende Jahr ist nach dem K a lender Ars das Jahr 10 117. Ich vermute
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