Gordon
mir bereiten. Mein süßes Kind«, bemerkte er.
Ich warf ihm einen Blick zu. Ich war verblüfft.
Dann erinnerte ich mich an etwas, das ich ihn hatte fragen wollen.
»Was für eine Art Krankenhaus war das, von dem Sie gerade erzählten?«, fragte ich. »Was sind Sie eigentlich genau?«
»Ich bin Psychiater«, sagte er.
»Oh«, sagte ich. »Ich habe noch nie einen Psychiater kennen gelernt.« Mein Herz hatte einen Satz getan, als er das gesagt hatte. Er hatte also tatsächlich etwas Unheimliches an sich. Ich hatte Recht gehabt. Er sah so aus, und er war es. Es ist eine unheimliche Beschäftigung, an anderer Leute Seelen herumzupfuschen. Und mit einem Seitenblick auf ihn sagte ich: »Wenn Goethe seinen Faust heute geschrieben hätte, dann hätte er aus Mephisto einen Psychiater gemacht.«
»Sehen Sie das so?«, sagte er mit einem zutiefst amüsierten Lächeln.
»Ja«, sagte ich, »aber natürlich weiß ich nichts über den Beruf. Ich habe eigentlich keine Ahnung davon.«
»Natürlich nicht«, sagte er. »Das geht allen so. Die Leute sagen zu mir: Sie tragen die Ziegelsteine ab, Stück für Stück, und dann setzen Sie sie wieder aufeinander. Oder sie sagen: Sie gehen in das Labyrinth und töten den Minotaurus. Das ist alles Unsinn. Sie haben keine Ahnung. Wie sollten sie auch?«
»Aber mit Ihren Patienten benehmen Sie sich doch wohl nicht so idiotisch wie mit mir, oder?«, fragte ich.
»Nein, mein armes Kind«, sagte er, »mein Wort darauf!«
»Aber ich meine«, sagte ich, »gestern haben Sie gesagt, Sie beabsichtigen, immer weiter über mein langes Haar zu reden. Ich denke, heute haben wir das Thema erledigt. Wirklich. Jetzt hören Sie doch auf, oder?«
Er sagte: »Sie meinen, das Leben sei wie eine Prüfung. Man bekommt eine gute Note. Oder eine schlechte Note. Und damit hat sich’s. So ist es aber nicht. Sie sind Ihre eigene Prüferin, und es geht immer weiter. Es hört niemals auf.«
Mich durchfuhr ein Frösteln der Angst und Besorgnis. Ich blieb stehen und wendete mich zu ihm hin. Er blieb gleichfalls stehen. Wir sahen uns an.
»Nun?«, fragte er.
Ich schwieg.
»Sie mögen mich nicht, wie?«, sagte er.
»Nein«, sagte ich.
»Ja, ich weiß. Mein süßes Kind.«
Wir gingen schweigend weiter, bis er mich zum Lachen brachte, indem er sagte: »Nun schauen Sie sich das Hündchen da drüben an!«
Später gingen wir in einen Pub in der Park Road und aßen anschließend in einem Restaurant in der Baker Street zu Abend. Wieder bestellte er, ohne mich nach meinen Wünschen zu fragen, und wieder fügte ich mich seiner Eigenmächtigkeit mit einem Gefühl der Genugtuung. Ich war in einer durch und durch friedlichen, träumerischen, überhaupt nicht streitsüchtigen Stimmung, und ich brauste nicht einmal auf, als er auf meine Bemerkung hin, ich sei satt, sagte, ich solle das Stück Roastbeef auf meinem Teller aufessen und den Rest könne ich liegen lassen – obwohl mir so etwas bei einer Einladung zum Essen ganz gewiss noch niemals passiert war.
Als wir wieder in seinem Zimmer waren und er mich aufforderte, mich auszuziehen und ins Bett zu gehen, war ich noch immer in dieser friedfertigen Stimmung und legte mich auf den Rücken. Aber kaum kam er in meine Nähe, war es mit meiner Fügsamkeit vorbei, und ich machte wieder Schwierigkeiten und sträubte mich dagegen, meinen Körper hinzugeben. Als er mich in Besitz nahm, tat er mir nicht weh, allerdings gebrauchte er mich wieder unendlich lange, mit der langsamen, unerbittlichen Entschlossenheit des Langstreckenläufers, und den ganzen nächsten Tag lang waren meine Schamlippen und die Wände meines Inneren so wund, dass sie sich anfühlten, als seien sie mit Schmirgelpapier traktiert worden.
Wie sich herausstellte, änderte sich diese meine Haltung angesichts seiner Annäherung nie, und in den meisten Fällen verspürte ich den Drang, mich zu widersetzen und zu widerstreben, was natürlich völlig sinnlos war, da ich mich zu guter Letzt immer fügen musste und ich sehr wohl wusste, dass mir nichts anderes übrig bleiben würde.
Aber er ließ mir nicht immer die Chance, mich zu wehren, ebenso wenig wie er es beim ersten Mal, auf der Bank im Garten, getan hatte.
Manchmal ließ er, wenn er mir die Tür öffnete und ich eintrat, irgendeine harmlose Bemerkung fallen, fragte mich etwa nach der Post oder ob es aufgehört habe zu regnen, und noch während ich antwortete, schob er mir einen Arm zwischen die Beine und den anderen um die Taille, hob mich hoch, legte
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