Gordon
ich.
»Nicht viel«, sagte er. »Ständig versuchen Sie, vor mir wegzulaufen.«
Ich sagte: »Weil Ihre Patienten übergeschnappt und voller Schmutz sind, bilden Sie sich ein, alle anderen seien auch so. Aber ich bin’s nicht. Ich bin normal.«
Er betrachtete mich eine Zeit lang mit ernsthafter Miene. »Ja«, sagte er dann, »Sie sind ziemlich normal.«
»Und ich bin ganz schlicht und offen«, sagte ich.
»Nein. Sie sind sehr kompliziert, wirklich sehr kompliziert«, sagte er, und zu meiner Verblüffung klang es aus seinem Mund wie ein Lob.
»Wie auch immer«, sagte ich keck, »ich bin ziemlich normal, was wollen Sie also mit meinen Träumen anfangen?«
»Es bereitet mir ein unvorstellbares Vergnügen, mich mit Ihnen zu befassen«, sagte er, »Dinge gegen Ihren Willen aus Ihnen herauszuholen. Ich mag es, Sie zu durchbohren und unangenehm in Sie einzudringen. O ja, mein armes Kind.«
Ich sah ihn an. Dann wendete ich das Gesicht ab. Unter meiner Verstimmung durchflutete mich ein tiefes Glücksgefühl, vergleichbar demjenigen, das er mich hatte erleben lassen, als er mich gezwungen hatte, mich seiner Männlichkeit zu ergeben. Kein anderer vor ihm hatte mir diese Befriedigung je geschenkt, dennoch begriff ich jetzt, dass die Sehnsucht, geschändet zu werden – körperlich und seelisch –, schon immer in mir geschlummert haben musste.
Als ich sechzehn und noch auf der Schule war, hatte eine meiner Klassenkameradinnen geheiratet, und die Geschichte machte die Runde, der Bräutigam habe sich ihrer in der Hochzeitsnacht so brutal bedient, dass sie am nächsten Morgen ins Krankenhaus musste, um wieder zusammengenäht zu werden. Alle Mädchen in meiner Klasse, und ebenso deren Mütter, bekundeten Abscheu und Entsetzen über die Geschichte. Und dennoch hatte sie mich gleichzeitig mit einem neidischen Verlangen erfüllt, das ich für mich behielt und das mich veranlasste, mich zu fragen, wie viele der anderen das Gleiche empfinden mochten. Ich glaube nicht, dass solche Sehnsüchte besonders ungewöhnlich sind. Wären sie es, würde das Kino, das schließlich von den geheimen unmoralischen Wünschen der Leute lebt, nicht so viele »Fast-Vergewaltigungen« zeigen.
Es war so, als sei ich im Besitz einer dieser kleinen Muscheln mit japanischen Blumen gewesen, die an den Straßenecken verkauft werden. Wenn man sie in ein Gefäß voll Wasser wirft, öffnet sich die fest verschlossene Muschel, und der darin enthaltene flache, trockene, zusammengerollte bedeutungslose Fetzen Papier schiebt sich hervor und entfaltet seine unerwartete bunte Pracht; in Gordon hatte ich mein Wassergefäß gefunden.
4. KAPITEL
K URZ NACH DIESER B EGEBENHEIT sah ich Gordon eine ganze Woche lang nicht. Normalerweise traf ich ihn ungefähr viermal die Woche und verbrachte den ganzen Sonntag mit ihm.
Als ich ihn wieder sah, gab er keine Gründe an, und ich verlangte auch keine.
Wir saßen am späteren Nachmittag in einem Pub in der George Street, und ich fühlte mich, da er mich noch nicht mit seinem Liebesspiel zermürbt hatte, frisch und aufgekratzt; außerdem ärgerte ich mich darüber, dass er von seinen Aktivitäten während der vergangenen Woche, als er kein Verlangen nach meiner Anwesenheit verspürt hatte, schwieg.
Ich sagte spöttisch: »Ist es nicht ein Glück, dass wir uns heute getroffen haben? Letzte Nacht hatte ich nämlich einen sehr unangenehmen Traum. Stellen Sie sich doch vor, was Sie verpasst hätten!«
»Erzählen Sie«, sagte er.
»Ich war über und über mit violetten Gurkensamen bedeckt«, sagte ich; »sie hafteten an meinem Körper, und als ich mich abrieb, fielen sie alle ab außer einem, der mir in den Arm hineingewachsen war, und als ich ihn herausriss, hinterließ er eine tiefe, runde Wunde. Es war schrecklich!«
»Ach wirklich«, sagte er, äußerst amüsiert, »Gurkensamen! Ich wusste nicht, dass Sie eine solche Angst davor haben, sich eine Geschlechtskrankheit zu holen und schwanger zu werden und abtreiben zu müssen.«
»Natürlich habe ich Angst davor«, sagte ich.
»Aber das sollten Sie nicht«, sagte er, noch immer lächelnd. »Wenn Sie frei sein und ein abenteuerliches Leben führen wollen, dürfen Sie keine Angst haben. Das passt nicht zusammen.«
»Aber ich habe Angst«, sagte ich. »Ständig befürchte ich, ertappt zu werden und mir eine Krankheit zu holen. Bei Ihnen mache ich mir wegen einer möglichen Krankheit natürlich keine Sorgen.«
»Warum nicht?«, fragte er.
»Weil Sie
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