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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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Arzt sind.«
    »Ich habe Syphilis gehabt«, sagte er.
    »Nein. Sie machen Witze«, rief ich aus.
    »Keineswegs!« Und er wiederholte sehr langsam und emphatisch: »Ich habe Syphilis gehabt.«
    Ich war so überrascht, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
    Nach einer Pause sagte er: »Aber wie auch immer, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaften sind Erwachsenenängste. Das ist nicht das, was ich von Ihnen will. Das ist nicht der Traum, den ich will. Diesen eben haben Sie mir lediglich als Drachenfutter hingeworfen.«
    Ich sah ihn von der Seite an. »Ich hätte schon noch einen anderen, an den ich mich noch ganz genau erinnern kann«, sagte ich, »aber der liegt einige Zeit zurück.«
    »Glauben Sie etwa, er müsste frisch gelegt sein, wie ein Ei?«, sagte er. »Oder so: ›Geben Sie mir bitte zehn Sechs-Penny-Marken, Miss, und ich hoffe, sie sind frisch, sie sind für einen Freund, der im Krankenhaus liegt.‹«
    Ich lachte.
    »Nichts als Ausflüchte«, sagte er.
    Im Verlauf der Gespräche über mein Haar hatte es ähnliche Fälle gegeben, in denen er sich aus vergleichbaren Gründen über mich geärgert hatte: »Das haben Sie jetzt nur gesagt, um mich abzulenken«, oder: »Nein, das ist nicht das, was ich will – fangen Sie noch einmal von vorne an«, und: »Das haben Sie absichtlich gesagt, um mich in die Irre zu führen«, und ich wusste nie, was an meinen Antworten auszusetzen gewesen war und was er eigentlich hören wollte. Es war so, als forderte er mich auf, ihm alle Rubine aus einem Schmuckkästchen zu geben, und ich, da farbenblind, ihm gleichzeitig auch die Smaragde aushändigte.
    Doch abgesehen davon war er äußerst geduldig mit mir, und wenn ich nicht antworten wollte und er mir auf den Arm schlug oder das Handgelenk verdrehte oder mich an den Haaren zog, tat er es nie, weil ihn meine Langsamkeit in Zorn gebracht hätte, sondern nur um mein Widerstreben zu überwinden, das zu offenbaren, was ich in Gedanken die »innersten Geheimnisse meines Wesens« nannte. Warum ich mich so dagegen sträubte, sie preiszugeben, hätte ich selbst nicht sagen können. Außerdem nahm ich mit meiner Bezeichnung »innerste Geheimnisse meines Wesens« den Mund ziemlich voll, sie war auf eine lächerliche und prätentiöse Weise bombastisch und selbstgefällig, und dies umso mehr, als diese »Geheimnisse« nie mehr ergaben als etwa, dass ich im Alter von fünf Jahren grün vor Neid gewesen war, wenn meine Mutter en grande toilette in mein Zimmer kam, um mir gute Nacht zu sagen, weil auch ich gern in die Oper gegangen wäre. Ich hatte keine Geheimnisse, die für sich genommen beschämend oder ehrenrührig gewesen wären; ich hatte mich keiner Verbrechen schuldig gemacht, die ich hätte verheimlichen wollen; und dennoch leistete ich jedes Mal erbitterten Widerstand, ehe ich ihm diese erbärmlich banalen Begebenheiten aus meiner Vergangenheit zuletzt doch mitteilte. Es grauste mir davor, sie zu erzählen, als seien sie die größten Ungeheuerlichkeiten, und ich hatte fürchterliche Angst, es könnte ihn anwidern, von ihnen zu erfahren.
    Er war niemals angewidert. Er war entzückt, ermunterte mich zu mehr und war unersättlich.
    Und dennoch waren diese Dinge, streng genommen, schon insofern »Geheimnisse«, als ich sie bis dahin noch niemandem erzählt hatte und auch weil sie gelegentlich mir selbst verborgen gewesen waren, ich also nie gewusst hatte, dass sie in mir schlummerten – wie zum Beispiel mein Hass auf meine Mutter. Den hatte ich nur durch seine bohrenden Fragen entdeckt und mir eingestanden, und es war mir doppelt ärgerlich, dass ich ihm etwas offenbaren musste, was ich ohne ihn niemals erfahren hätte.
    Ich konnte einfach nicht begreifen, wie solche trivialen Ereignisse dadurch, dass ich mich an sie erinnerte, einen derartigen Sturm von Scham und Schuldgefühlen in mir entfachen und eine solche Wichtigkeit annehmen konnten. Dann stieß ich eines Tages auf ein elisabethanisches Gedicht, das sich aus zwei Teilen zusammensetzte; jede Strophe enthielt eine Aufzählung der Wunder der Erde, wie den Feuer speienden Ätna, die fliegenden Fische des Chinesischen Meeres und die kochendes Wasser ausstoßenden Geysire Islands. Dann kam der Refrain:
     
    »All dies ist wunderbar –
    Ich wunderbarer noch,
    Dess’ Herz vor Angst gefriert,
    Vor Liebe kocht.«
     
    »Wenigstens einer, der ehrlich ist«, sagte ich zu mir.
    Ich dachte noch immer darüber nach, als Gordon sagte: »Das ist ein richtig altmodischer Pub. Ist

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