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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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Dann drehte er sich um und fügte hinzu, indem er mit gesenkten Augen an den Schreibtisch trat, als suche er irgendetwas zwischen seinen Papieren: »Es ist die grauenvollste, unaussprechlichste Sünde. Jedes Mal, bei jedem Patienten, kommt sie mit der eintönigen Regelmäßigkeit einer Grammophonplatte zur Sprache.« Er hob die Augen, und mittlerweile war ich nicht mehr nervös und brachte es fertig, seinem Blick mit der rechtschaffenen Miene der missverstandenen Unschuld zu begegnen.
    »Ach wirklich«, sagte ich, »wie interessant.«
    Mein gelassener Blick hatte nicht ganz den Erfolg, den ich mir versprochen hatte. Er beobachtete mich mit berechnendem Auge.
    »Wovor haben Sie Angst?«, fragte er.
    »Vor gar nichts«, sagte ich.
    »Haben Sie sich früher je vor einem Mann gefürchtet?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich.
    »Warum fürchten Sie sich dann vor mir?«, fragte er.
    »Weil – «, sagte ich. Ich dachte: Er weiß es nicht, und ich werde es ihm nicht sagen. Den Teufel werde ich tun! Und als ich ihn dann ansah und dachte: Er hat wirklich seltsame Augen, antwortete ich aus dem Stegreif: »Wegen Ihrer Augen. Sie haben so unangenehme Augen. So bohrend und durchdringend.«
    »So, so«, sagte er, »und Sie haben Angst, ich könnte mit meinen bohrenden und durchdringenden Augen etwas über Sie herausfinden?«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte ich. »Es gibt nichts – «
    »So, so«, sagte er.
    Eine Zeit lang blieben wir stumm. Ich beobachtete ihn, wie er im Zimmer auf und ab ging. Er blieb stehen und setzte sein typisches grässlich einladendes Grinsen auf. »Nun, was unternehmen wir in der Sache?«, sagte er und lehnte sich gegen den Schreibtisch.
    »In welcher Sache?«, fragte ich.
    »Dass Sie Angst vor mir haben«, sagte er. »Komme ich Ihnen wie ein Monster vor? Deuten Sie vielleicht an, ich sei ein Monster?«
    »Das habe ich nie gesagt!«, rief ich aus.
    »Mumpitz«, bemerkte er. »Und jetzt, wo Sie das gesagt haben, sollte ich mich auch entsprechend verhalten.« Und er kam langsam auf mich zu.
    Mich befiel eine unbeherrschbare Angst. Ich wich ihm blitzschnell aus und brachte mich hinter dem Schreibtisch in Sicherheit. „Sie werden mich nicht schlagen!«, schrie ich.
    Er wendete sich mit einer entzückten Miene zu mir hin.
    »Ah, das möchten Sie also?«, sagte er.
    »Nein, natürlich nicht! Sie sind verrückt!«, rief ich aus. Ich war den Tränen nahe und hielt mich weiterhin an der Kante des Schreibtisches fest.
    Er sah mich ruhig und liebenswürdig an.
    Ich ließ den Schreibtisch los. »Sie sind wirklich verrückt«, sagte ich erleichtert. Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen.
    Er hatte Theater gespielt, wie er es oft tat; nur war es eine Rolle gewesen, in die er bislang noch nie geschlüpft war. Doch obwohl ich die Absurdität meiner Angst einsah, konnte ich sie nicht begreifen, und es gelang mir auch nicht, sie mit einem Lachen abzutun.
    »Ja, das war ein guter Traum in dem Buch«, sagte er. Er fing wieder an, im Zimmer auf und ab zu gehen. Ich setzte mich auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. »Männer sind nämlich seltsame Geschöpfe«, fuhr er fort. »Sie verbringen den größten Teil ihres Lebens damit, sich darüber zu sorgen, ob sie so gut ausgestattet sind wie ihre Väter. Oder sie beten Jesus an. Er ist der Mann mit der wahrhaft magischen Ausstrahlung – es gibt keine Frau, die er nicht ins Bett kriegen könnte. Dann entwickeln sie Schrullen wie die, von der ich Ihnen erzählt habe, und steigern sich in ihren Groll gegen Frauen hinein. Sie vergeuden an sie ihren Samen, die kostbarste Substanz, die sie besitzen, die unschätzbare Flüssigkeit.« Und in die Stimme eines jammernden Cockney verfallend, fügte er hinzu: »Ja, da lachen Sie jetzt, und wir armen Männer werden immer dünner und schwächer, während ihr euch von uns ernährt und immer dicker werdet! Ihr seid entsetzlich, ihr Weiber!« Er blieb abrupt stehen. »Wie finden Sie das?«, fragte er.
    »Ich weiß nichts darüber«, sagte ich und schürzte die Lippen. »Sie haben vermutlich Recht.«
    »Ah, ja«, sagte er, »Sie halten mich für so etwas wie die Bibel, wie? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, und wenn es nicht so wäre, dann würde ich es nicht sagen?«
    Ich lächelte.
    »Warum erzählen Sie mir nicht bei Gelegenheit einen Ihrer Träume?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich.
    »Warum nicht?«, fragte er. »Fürchten Sie sich vor dem, was dabei herauskommen könnte?«
    »Ich habe nichts zu verbergen«, sagte

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