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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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rundgesichtige Vierziger; er kahl und mit Brille, sie mit unordentlich hochgebundenen, grau werdenden braunen Locken. Er trug alte Tweed- und Flanellsachen, sie ein kariertes Hauskleid und Sandalen.
    »In einer halben Stunde können wir essen«, sagte sie zu uns. »Wir warten auf die Schwester meines Mannes, sie kommt auch noch.« Dann, geflüstert: »Sie müssen sehr vorsichtig sein, wenn Sie mit ihr reden, sie hat eine Mutterfixierung.«
    »Was ist das?«, fragte ich.
    Sie riss überrascht die Augen auf. »Sie wissen es nicht?« Und zu Gordon gewandt: »Sie haben doch gesagt, dieses Mädchen sei Ihre Freundin. Reden Sie nie mit ihr?«
    »Setzen Sie ihr bloß keine Flausen in den Kopf!«, sagte Gordon. »Mit ihr reden? Was denn noch?«
    Ich bot an, ihr dabei zu helfen, das Essen fertig zu machen. Ich hasse es, Frauen in ihrer Küche zu helfen, genauso wie ich es nicht ausstehen kann, wenn ein weiblicher Gast in meine Küche kommt, um mir zu helfen. Nur bei Leuten wie meiner Cousine Sylvia habe ich nichts dagegen, und in dem Fall geht es auch nicht darum, dass die eine der anderen helfen würde, sondern dass wir uns weiter unterhalten können.
    Ich folgte ihr in die Spülküche, wo ich, wie erwartet, nichts anderes tat als herumstehen.
    Das Hauptgericht war ein Auflauf aus Wurstbrät und Stampfkartoffeln; serviert wurde es auf dem in der angrenzenden Küche gedeckten Tisch. Es gab reichlich Brot und Margarine, ein großes Stück Kuchen, den geschmacksneutralen Käse, den man auf Lebensmittelkarte bekam, und viele halb leere Gläser mit Chutneys und Pickles.
    Als wir hereinkamen, saßen da bereits, außer den zwei Männern, die mutterfixierte Schwester und die fünfjährigen Zwillinge des Ärztepaares, ein Junge und ein Mädchen mit großen runden Köpfen und Segelohren und identisch gekleidet in Kittel und Hose.
    Die Schwester war eine dralle junge Frau mit roten Backen und krausem braunem Haar; sie sah geduldig und gutherzig aus, und ich war mir sicher, dass sie, wenn ich beispielsweise gestrickt oder getippt hätte, meine fallen gelassenen Maschen aufgenommen oder das Farbband in meiner Maschine gewechselt hätte. Sie blieb stumm, genauso wie ich.
    Als sie sich später doch am Gespräch beteiligte, dann nur mit Bemerkungen wie: »Genau das Gleiche meint Mutter auch«, oder: »Mutter hätte ihn nicht mal mit der Kneifzange angefasst, sie merkte es auf Anhieb, sie hat einen Blick für so was«, und ich schloss daraus, eine Mutterfixierung sei der technische Ausdruck dafür, dass man seine Mutter liebt und achtet, genauso wie »emotional engagiert sein« so viel wie »verliebt sein« bedeutete.
    Man hatte mich neben Gordon gesetzt, und von Zeit zu Zeit warf ich ihm einen Seitenblick zu. Er sah mich kein einziges Mal an und ignorierte mich völlig.
    Nach dem Essen wurden die Zwillinge von ihrer Mutter ins Bett gebracht, während wir mit unserem lauwarmen Kaffee am wachstuchbedeckten Tisch sitzen blieben. Gordon redete mit seinem Freund über die Entscheidung irgendeines Ausschusses. Ich hörte kaum zu.
    Die Frau kam zurück und fing an, Gordon wegen des emotionalen Wohlbefindens der Zwillinge zu befragen. Sie schliefen im selben Zimmer. War das richtig? Sollte sie ihnen nicht, jetzt wo sie bald eingeschult würden, jeweils ein eigenes Zimmer geben? Schließlich waren sie ja von unterschiedlichem Geschlecht!
    »Was immer Sie tun – es ist zu spät«, sagte Gordon. »Sie sind fünf. Da ist nichts mehr zu machen.«
    »Oh, sagen Sie das nicht!«, jammerte sie. »Und was ist mit dem Ödipuskomplex? Sie sind nie im Kindergarten gewesen. Ich habe sie dauernd um mich gehabt. War das falsch?«
    »Auch das ist schon vorbei und erledigt«, sagte Gordon.
    »Dann kann ich also wirklich nichts mehr machen?«, fragte sie.
    Während des Essens hatte sie auch, im Zusammenhang mit ihrer Putzfrau, Ausdrücke wie »sich mit jemandem identifizieren« verwendet. Offenbar »identifizierte sich« diese Frau mit einer ihrer Arbeitgeberinnen, was einerseits gut war, weil sie deren Haus wunderbar sauber hielt, andererseits schlecht, weil sie deren Ehemann, der ein gespanntes Verhältnis zu seiner Frau hatte, unverschämt behandelte. Daraus schloss ich, dass »sich mit jemandem identifizieren« eine weitere Umschreibung für »mögen« und »gern haben« war.
    Als ich sie jetzt nach dem Ödipuskomplex fragen hörte, wusste ich ungefähr, was das Wort bedeutete – genauso ungefähr, wie die meisten meiner Freunde und Bekannten es wussten. Gordon

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