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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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an weit eigenartigere Unterhaltungen gewöhnt.
    Als wir in die Cromwell Road einbogen, fragte ich Gordon: »Warum sind Sie nicht zu mir aufs Zimmer gekommen?«
    »Haben Sie es bedauert?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich. »Ich fühle mich wie Kaiser Mark Aurel mit seinem diem – beziehungsweise noctem – perdidi. «
    Gordon sagte: »Kaiser Mark Aurel brauchte sich keine Gedanken um den Lärm zu machen. Ich wollte vermeiden, dass sie sich Ihre Schreie anhören müssen, mein süßes Kind.«
    »Oh«, sagte ich, »ich hatte nicht daran – «
    »Natürlich haben Sie nicht daran gedacht«, sagte er. »Sie sind wie ein fünfjähriges Kind. Man muss für Sie an alles denken.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Sie verstehen nicht einmal Ihre eigenen Träume«, sagte er. »Man muss Ihnen jeden einzelnen Schritt erklären. Aber heiraten werde ich Sie nicht.«
    »Mein Gott, was in aller – «, rief ich aus. »Und nur, weil sie das gesagt hat – glauben Sie, Sie – «
    »Nein«, sagte er, »sie ist bloß eine dumme Frau. Aber ich habe sehr wohl daran gedacht, ernsthaft.«
    Ich war verblüfft. »Wirklich?«, fragte ich.
    »Ja, wirklich.«
    Ich hatte nie daran gedacht, ihn zu heiraten. Ich hatte mir nicht einmal spaßeshalber vorzustellen versucht, wie es wohl wäre. Was vielleicht umso seltsamer war, wenn man bedachte, dass unsere Gastgeberin, die »dumme Frau«, sofort auf diesen Gedanken gekommen war. Und wenn ich sogar so weit ging, mir den unbekannten Dr. Crombie in seiner Wohnung beim Dinner vorzustellen – warum hatte ich dann vor Gordon, den ich doch so gut kannte, Halt gemacht?
    »Und ich werde Ihnen auch sagen, warum ich Sie nicht heiraten werde«, sagte er. »Weil ich genau weiß, über welche Dinge wir uns streiten würden.«
    Ich hätte liebend gern gehört, um welche Dinge es sich dabei handelte, wagte aber nicht, danach zu fragen. Ich erfuhr es nie. Er schnitt das Thema nie wieder an.
    Wir gingen eine Zeit lang schweigend weiter.
    Als wir die Bushaltestelle erreichten, sagte er: »Ja, sie ist wirklich nur eine dumme Frau. Apropos, glauben Sie eigentlich, dass auch Frauen einen Ödipuskomplex haben können?« Und er beobachtete mich mit dieser kalten Faszination.
    ›Worauf will er eigentlich hinaus?‹, fragte ich mich. Ich sagte: »Reden Sie keinen solchen Unsinn! Wie kann eine Frau ihre Mutter heiraten? Selbst wenn Sie ihren Vater töten könnte.«
    »Sie bräuchte es bloß umgekehrt zu machen, mein armes Kind«, sagte er, »sie müsste ihre Mutter töten und ihren Vater heiraten.«
    »O Gott!«, brauste ich auf. »Es gibt tatsächlich nichts, worauf Sie nicht verfallen würden! Sie sind wirklich – «
    »Ich bin ekelhaft, ich weiß«, sagte er, »aber ich habe das nicht erfunden. Und es hat sogar einen eigenen Namen. Es ist der Elektrakomplex. Hier kommt unser Bus.«
    Der Bus war fast leer. Wir gingen nach vorn durch und setzten uns auf die vordersten Plätze.
    Ich fragte: »Aber warum macht sie sich so viel Gedanken darüber, dass die Zwillinge im selben Zimmer schlafen? Was befürchtet sie eigentlich, was sie anstellen könnten? Sie sind doch erst fünf. Und selbst, wenn sie älter wären … Ist das noch so ein Komplex, den sie im Kopf hat, oder was?«
    »Es ist nicht nur in ihrem Kopf«, sagte Gordon. »Solche Dinge passieren durchaus. Ich habe meine zwei Schwestern verführt. Eine war damals dreizehn und die andere vierzehn.«
    Ich spürte, wie ich blass wurde, und verfiel wieder in meinen formelhaften Ausdruck von Ungläubigkeit: »Nein, Sie scherzen. Das ist nicht wahr.«
    Und er sagte mit derselben langsamen, emphatischen Stimme, die er im Zusammenhang mit seiner Krankheit und dem Rauschgift gebraucht hatte: »O doch. Ich habe meine Schwestern verführt. Alle beide.«

 
     
    11. KAPITEL
     
     
     
    A LS ICH IN L INDEN G ARDENS ANKAM und ins Haus ging, stieß ich in der Halle auf Mr. Sewell.
    »Jetzt kommen Sie nicht mal mehr mit den Kühen heim«, bemerkte er, »der Milchmann war schon da. Kommt man vielleicht um diese Zeit nach Haus?«
    »Wie Sie sehen«, sagte ich.
    »Herrgott, ihr Leute, was für ein Leben ihr führt!«, sagte er. »Ich werde noch Ihre Miete halbieren müssen, weil Sie die Laken gar nicht abnutzen. Was hat er, was ich nicht habe? Bietet er Ihnen schwarze Laken aus Crepe de Chine oder was, na?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Und, eine gute Nacht gehabt? Kein Auge zugetan?«, fragte er.
    »Ja«, sagte ich.
    »Herrgott«, meinte er und begann zu singen: »Das Bräutchen schaut so selig drein, der

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