Gordon
dem Absatz des ersten Stockwerks. Gordon bedachte mich mit einem anzüglichen Krokodilsgrinsen. »Wie Sie sehen«, sagte er, »hat eine strenge Geschlechtertrennung stattgefunden – selbst was den Weckdienst anbelangte.« Und mit einem Blick auf meine kleine Begleiterin: »Ach ja. Das ist genau das, was ich bräuchte, ein kleines Mädchen von fünf. Ach, was könnte ich mit einem kleinen Mädchen von fünf nicht alles anstellen!«
Wir folgten den Zwillingen ins Untergeschoss.
Der Commissioner saß am Küchentisch, auf dem noch immer die Pickles-Gläser und Flaschen vom Vorabend herumstanden. Er las eine Zeitung.
Noch im selben karierten Kittel begrüßte uns die Frau mit einem fröhlichen, wissenden Lächeln. Ich spürte, wie ihr Blick über mein Gesicht strich, wahrscheinlich auf der Suche nach dunklen Schatten unter meinen Augen, und ich war mir sicher, dass sie die Zwillinge hoch geschickt hatte, um herauszufinden, ob Gordon und ich die Nacht zusammen verbracht hatten.
Wieder wurde ich links neben Gordon gesetzt. Ich lehnte jedes Essen ab und trank nur Kaffee. Nachdem sie Gordon Porridge und Würstchen aufgetan hatte, goss sich die Frau eine weitere Tasse ein und setzte sich in meine Nähe, ans Kopfende des Tisches.
»Haben Sie gut geschlafen?«, fragte sie und musterte mich mit einem gutmütigen, erwartungsvollen, verschwörerischen Blick.
»Ja, danke«, sagte ich lachend. »Das Haus ist herrlich ruhig. Ich habe wie ein Klotz geschlafen.«
»O«, sagte sie; ihre sichtliche Enttäuschung überspielend, fügte sie dann mit der höflichen Munterkeit einer Gastgeberin hinzu: »Das freut mich sehr!«, und warf Gordon einen neckisch-vorwurfsvollen Blick zu.
Gordon aß mit gesenktem Kopf und ohne aufzusehen. Aber gerade, als ich meine Tasse aufheben wollte, streckte er die linke Hand aus und schloss sie um mein Handgelenk. Mir stockte der Atem, und ich legte die Hand auf den Tisch und ließ sie, im Griff seiner Faust, da liegen. Ich führte mir mit der Linken die Tasse an die Lippen und trank einen Schluck, während ich so tat, als hörte ich der Frau zu.
Gordon ließ mich kurz los, um sich ein Brot mit Butter und Marmelade zu schmieren; dann kehrte seine Hand zurück und schloss sich mit einem abrupten, schmerzhaften Griff, der mich nach Luft schnappen ließ, wieder um meinen Puls.
Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, schaute ich meine Gastgeberin an, und als ich die Armreifen aus getriebenem Silber sah, die mir schon am vorigen Abend an ihrem Arm aufgefallen waren und mich an die wiederholt gemachte Erfahrung erinnerte, dass man immer sicher lag, wenn man an Leuten gerade dasjenige lobte, was man selbst am geschmacklosesten fand, bemerkte ich: »Ihre Armreifen gefallen mir sehr. Sie sind sicher nicht aus England, oder?«
»Nein«, sagte sie und blickte mit einem erfreuten Lächeln auf ihren Arm hinab, »sie sind aus Marokko.«
Und während sie mir erzählte, wie und wo sie den Schmuck gekauft hatte, versuchte ich, mich Gordons Griff zu entwinden, musste aber sofort wieder brav stillhalten, als Gordon mir, ohne mich auch nur anzusehen, das Handgelenk so verdrehte, dass mir ein stechender Schmerz durch den Arm schoss.
»Wie halten Sie es nur aus, dass er sie ständig so betatscht?«, fragte die Frau. »Mich würde das verrückt machen.«
»Er betatscht mich nicht, er hält mich nur fest«, sagte ich, in ihre etwas beleidigende Redeweise verfallend, mit der sie Gordon so behandelte, als sei er ein Tier, über das man ungeniert in der dritten Person reden konnte.
»Trotzdem. Wie halten Sie es nur aus?«, sagte sie.
»Es stört mich nicht. Ich bin an ihn gewöhnt«, sagte ich.
»Er wird Sie heiraten, nicht wahr?«, fragte sie.
»Nein«, sagte ich.
»Ich bin sicher, dass er sie heiraten wird«, sagte sie. »Aber glauben Sie, dass Sie ihn auf die Dauer ertragen könnten? Haben Sie darüber einmal nachgedacht?«
»Noch nie«, sagte ich.
»Ach, kommen Sie schon, natürlich haben Sie«, rief sie aus. »Sie haben doch über alles Ihre eigene Meinung. Da wollen Sie mir doch nicht erzählen – «
»Doch, ehrlich, noch nie«, sagte ich.
»Was für ein merkwürdiges kleines Mädchen Sie doch sind!«, sagte sie.
Gordon hatte die ganze Zeit ungerührt weiter gegessen.
Soweit ich sehen konnte, war der Commissioner noch immer in seine Zeitung vertieft. Ob er zuhörte, konnte ich nicht erkennen, aber der Gedanke an diese Möglichkeit beunruhigte mich nicht sonderlich. Als Irrenarzt war er mit Sicherheit
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