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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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fragte ich, zutiefst erstaunt.
    Er war der einzige Mann, den ich je gekannt hatte, der nicht die lästige Angewohnheit besaß, einem in Kleidungsfragen hineinzureden, und so erstaunte es mich, dass er an diesem Kleidungsstück etwas auszusetzen haben sollte.
    »Und überhaupt«, sagte ich frech, »worüber beklagen Sie sich eigentlich? Es ist ja nicht so, dass Sie mich ausziehen müssten. Das tue ich ganz allein.«
    Ich mochte dieses Mieder sehr. Es war aus dünner himmelblauer Baumwolle und sehr aufwendig gearbeitet; so waren die Träger mit blassblauem Samt gefüttert, und der Reißverschluss war mit einem Streifen desselben Materials unterlegt, um Druckstellen auf der Haut zu vermeiden. »Es ist maßgeschneidert«, fügte ich hinzu, »extra für mich.«
    »Sagen Sie nicht ›extra‹, sagen Sie ›eigens‹«, sagte Gordon.
    »Ja«, sagte ich, »aber was ist an dem Mieder auszusetzen?«
    »Es macht mich rasend«, sagte er, »weil Sie es gar nicht brauchen, mit diesem Körper, den Sie haben.« Und er fügte mit vor Wut erstickter Stimme hinzu: »Sie sollten überhaupt nichts tragen!«
    Er hatte mir bislang nie den geringsten Grund zu der Annahme gegeben, er sei sich meiner körperlichen Reize bewusst, und dies umso weniger, als er mich nie zärtlich berührt hatte, und aus Trotz fuhr ich fort, das himmelblaue Mieder zu tragen. Als ich aufhörte, Gordon zu sehen, gab ich es der Putzfrau, damit sie es als Wischtuch benutzte. Seither habe ich nie wieder ein Mieder getragen.
    »Sie waren also böse, weil er Ihnen nicht geschrieben hat«, sagte Gordon, »und übrigens ist mir gerade eingefallen, dass er ein Schwindler ist, selbst was sein angebliches Alter anbelangt. Wenn er wirklich beim Militär war – und das klingt glaubwürdig – und wegen eines Nervenzusammenbruchs entlassen wurde –, dann kann er nicht so alt gewesen sein, wie er Sie hat glauben machen. Das Alter hat er sich angedichtet, um Sie mit seinen angeblichen magischen Fähigkeiten zu beeindrucken. Also läuft’s letztlich darauf hinaus, dass er um die vierzig ist und auch so aussieht. Aber das Alter haben Sie ihm abgenommen, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte ich, »die grünen Polster im Cafe Royal etwa klangen so überzeugend. Und er hat nie irgendwelche Daten genannt. Er ließ sich einfach nicht festlegen. Wie auch immer, mit der Zeit wurde ich mehr als nur böse. Ständig zerbrach ich mir den Kopf darüber, was er wirklich und wer er wirklich war, und ich wollte ihn unbedingt wieder sehen. Dass die Zeit alle Wunden heilt, ist völliger Blödsinn. Es ist so wie mit dem Durst. Je länger man wartet, desto durstiger wird man, und wenn man Sorgen hat, dann werden sie mit der Zeit immer schlimmer.«
    »Das waren keine Sorgen«, sagte Gordon. »Sorgen macht man sich um vernünftige Dinge, zum Beispiel darüber, wovon man die nächste Miete zahlen soll. Aber bei Ihnen war es nicht die Miete. Es waren Sie, die sich selbst bekämpften. Es war so, als zerfresse Sie etwas von innen her, eine kleine Maus in Ihrem Herzen, die unablässig nagte, habe ich Recht?«
    »Ja«, sagte ich, »und dann schrieb die Marine, sie würde mich gern nehmen, und ich lehnte ab, weil ich auf dem Posten, den man mir anbot, keine Offizierin gewesen wäre. Aber das war nicht der eigentliche Grund für meine Ablehnung – das hatte ich schon bei meinem Vorstellungsgespräch gewusst, damals in London. Der Grund war, dass die Marine mich Gott weiß wohin geschickt hätte, und das passte mir nicht, ich wollte nach London, um ihn ausfindig zu machen und ihn wieder zu sehen. Es war mir gleichgültig, was ich tat, solange ich nach London zurückkonnte. Ich konnte an gar nichts anderes mehr denken. Ich weiß, dass es idiotisch klingt.«
    Gordon sagte: »Es klingt wie die Obsessionen, die die Leute im Mittelalter hatten, die von sich behaupteten, verhext worden zu sein. Nein, lachen Sie nicht, ich meine es ernst. So haben Sie sich doch gefühlt, oder?«
    »Ja«, sagte ich. »Und dann habe ich einen Posten beim amerikanischen Kriegsministerium bekommen, durch Vermittlung einer Freundin, die in einer ihrer Dienststellen in Leicester arbeitete, und sie waren gerade alle dabei, nach London umzuziehen, und ich habe meinen Mann verlassen und habe ihm die ganze Marmelade gelassen, die ich gekocht hatte, weil er meinte, sie gehöre ihm, und habe alles verkauft, was mir gehörte. Ich habe eine Menge Geld für die Sachen bekommen – die Perserteppiche und das Porzellan und die Wäsche, die zum Teil noch

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