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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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ist eine scheußliche Einrichtung.«
    »Ich kann’s nicht beurteilen«, sagte sie, »aber ich denke, dass er besser das Weite suchen sollte.«
    »Er würde ja doch nur an eine andere Katze geraten, die er zu füttern hätte«, sagte ich.
    Mr. Sewell kehrte ins Zimmer zurück.
    »Sie sind eine richtige Defätistin, stimmt’s?«, bemerkte sie.
    »M-hm«, sagte ich.
    An dem Abend ging ich zu Gordon, und er erzählte mir, er habe beinah eine Zweizimmerwohnung in der Wellbeck Street gemietet. »Als ich der Frau sagte, ich bräuchte in dem einen Zimmer eine Couch, sagte sie, sie würde den Diwan aus dem Schlafzimmer hinüberstellen. Und als ich sie fragte, ob es ihrer Meinung nach so ungewöhnlich sei, dass ich im Schlafzimmer eine Schlafgelegenheit haben wollte, konnte sie mir nicht folgen. Da sehen Sie, wie es ist, mein armes Kind. Ich muss eine richtige Wohnung finden, mit einem Wartezimmer, Pförtner und allem, was dazugehört. Crombie hat mir heute wieder zwei neue Patienten überwiesen. Ich kann unmöglich so weitermachen.«
    »Das ist sehr nett von ihm«, sagte ich. »Crombie scheint wirklich ein hochanständiger Mensch zu sein.«
    »Und wenn die Praxis erst richtig läuft«, sagte Gordon, »kaufe ich Ihnen das Kleid, das Sie sich neulich gewünscht haben.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich es mir wünsche«, sagte ich.
    »Aber Sie haben es sich angesehen«, sagte er, »während Sie sich etwa Hüte nie ansehen.«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte ich, »mit meiner Zopfkrone kann ich ja schlecht einen Hut tragen.«
    »Aber wenn Sie einen tragen würden«, sagte er, »was für eine Art Hut würde Ihnen dann gefallen?«
    »Ein kleiner Hut mit einem kurzen Schleier«, sagte ich, »einem Schleier, der gerade die Augen bedeckt. Das finde ich unheimlich kleidsam.«
    »Genau das wollte ich hören«, sagte er. »Also einen Hut, wie ihn die Frau in Ihrem Traum trug, richtig?« Und er sah mich mit einem erfreuten Lächeln an.
    »Ja«, sagte ich, »sie trug genau diese Art von Hut. Aber er stand ihr nicht. Sie war fürchterlich unelegant. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
    »Ich wusste sofort, dass es mit diesem Hut mit dem Schleier etwas auf sich hatte«, sagte er. »Nun, warum hätten Sie denn gern einen Hut mit Schleier?«
    »Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt«, sagte ich, »Sie sind unglaublich blöd. Weil er so kleidsam ist.«
    »Woran müssen Sie bei einem Hut mit Schleier denken?«, fragte er.
    »An nichts besonders«, sagte ich.
    »Sagen Sie nicht ›besonders‹, sagen Sie ›Besonderes‹«, sagte er.
    »Ja«, sagte ich.
    »Nun?«, fragte er.
    »An einen Schleier aus Tränen«, sagte ich, »wenn man weint, werden die Augen von einem Tränenfilm verschleiert.«
    »Fangen Sie jetzt nicht an, sich Sachen auszudenken!«, sagte er.
    »Ich denke mir das nicht aus«, sagte ich. »Sie haben mich gefragt, woran mich das erinnert, und ich habe es Ihnen gesagt.«
    »Hören Sie auf, vor mir wegzulaufen«, sagte er, dann beugte er sich vor und legte mir die Hand um den Ellbogen, so dass der Daumen in das weiche Fleisch der Armbeuge drückte. »Ich sorg schon dafür, dass Sie Ihren Tränenschleier bekommen«, bemerkte er. »Ich gebe Ihnen einen Grund zum Weinen. Los jetzt!«
    Ich konnte nie erkennen, nach welchen Kriterien er meine Antworten bewertete. Warum war eine Äußerung »Jetzt kommen wir langsam weiter« und eine andere »Hören Sie auf, sich Sachen auszudenken«? Ich log ihn nicht an; ich hatte ihn ein einziges Mal bewusst angelogen, damals, als er mich geohrfeigt hatte. Soweit ich wusste, waren alle meine Antworten ehrlich; sie erschienen mir alle auf die gleiche Weise ehrlich, wie Salz und Zucker gleich aussehen, und doch sah er nicht nur, was ich sagte, sondern schaffte es auch irgendwie, es zu schmecken und auf diese Weise festzustellen, ob es salzig oder süß war.
    »Na schön«, sagte ich mürrisch, »aber es ist albern. Meine Mutter hatte immer solche Hüte mit kurzem Schleier. Sie sah damit bezaubernd aus, richtig verführerisch, mit den Augen hinter diesem schwarzen Gitter. Und ich habe mir immer auch so einen Hut gewünscht. Was natürlich lächerlich war.«
    »Das klingt schon besser«, sagte er.
    »Da bin ich aber froh«, sagte ich arrogant.
    »Sie wären gern wie Ihre Mutter gewesen«, sagte er, »genauso bezaubernd.«
    »Ja, natürlich«, sagte ich. »Ich wäre gern so gut wie sie gewesen. Ich meine ›gut‹ nicht im Sinne von tugendhaft. Ich meine, genauso erwachsen und verführerisch und

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