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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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Ernst?«, rief ich aus.
    »Ja«, sagte er, »ich wollte mir einen eigenen Eindruck davon verschaffen. Es ist überhaupt nicht so, wie Sie es geschildert haben.«
    »Nicht?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte er. »Es ist einfach ein staubiger, antiquierter, schlecht geführter alter Laden, der auch nie vornehm und nie elegant gewesen ist, nicht einmal in der ach so guten alten Zeit. Sie haben von seiner angejahrten Pracht, seiner altmodischen Eleganz gesprochen. So sehen Sie es. Ihr Traum ist voller Täuschung, Lüge, Zweifeln, Angst davor, das herauszufinden, wovon Sie nichts wissen wollen. Und dennoch wissen Sie es schon seit langem. Sie wussten ziemlich genau, dass O’Teague ein Schwindler ist. Er hat nie irgendetwas Nennenswertes geleistet. Wo sind denn die Filme, in denen er gespielt hat? Wer hat je etwas von ihm gehört? Er ist auch kein Ire, er ist Australier, wie ich herausgefunden habe, aber das ist nicht das Problem. Sie wussten durchaus, dass sein Geschwätz weder Hand noch Fuß hatte, habe ich Recht? Sie wussten es, und Sie wollten nichts davon wissen. Sie wollten sich weiter daran klammern.«
    »Er ist so schön!«, sagte ich.
    »Das ist nicht der Grund«, sagte Gordon. »Und Sie wussten nicht nur, dass seine angeblichen magischen Kräfte ein Schwindel sind. Sie wussten sogar, dass er ein äußerst klischeehafter Schwindler ist. Ohne das kleinste bisschen Originalität.«
    »Das haben Sie gesagt«, bemerkte ich, »Sie. Nicht ich. Sie haben gesagt, Sie würden das alles in- und auswendig kennen.«
    »Aber Sie kannten es ebenfalls in- und auswendig, mein armes Kind«, sagte er. »Wovon haben Sie geredet, gleich nachdem wir uns kennen gelernt haben? Vor dem Antiquitätengeschäft? Woran mussten Sie da denken?«
    »An die Märchen über Spiegel«, sagte ich, »und an den Mann, der keinen Schatten warf.«
    »Und warum waren Ihnen diese Geschichten so geläufig?«, fragte Gordon. »Warum fielen sie Ihnen als Erstes ein?«
    Ich sagte: »Weil – wenn Sie es unbedingt wissen müssen – ich sie nachgelesen hatte, und zwar bewusst.«
    »Und warum hatten Sie sie nachgelesen?«, fragte er. »Weil Sie wissen wollten, wo er es herhatte. Weil das seine Masche war. Apropos, hat er Ihnen auch erzählt, er würde keinen Schatten werfen, wenn er nicht will?«
    »Ja«, sagte ich, »und das ist von Chamisso – einem deutschen Romantiker. Das Buch heißt Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Und die meisten Spiegel-Geschichten sind von E.T.A. Hoffmann – das ist wohl die gleiche Epoche.«
    Gordon sagte: »Ein einfallsloser Psychopath mit einem nicht alltäglichen literarischen Geschmack. Sie haben es also schon die ganze Zeit gewusst.«
    »Von mir aus. Ich habe es die ganze Zeit gewusst«, sagte ich lustlos.
    »Und trotzdem«, sagte Gordon, »kommen Sie daher und erzählen mir, er sei die große Liebe Ihres Lebens. Und Sie mussten sich deswegen auch noch so abrackern, mein armes Kind! Aber jetzt ist es fast überstanden. Sie haben fast das Ende erreicht. Möchten Sie noch einen Drink? Er könnte Ihnen gut tun. Sie haben heute nicht allzu viel Kampfgeist, oder täusche ich mich?«
    »Ich will nichts mehr trinken«, sagte ich.
    Er sagte: »Ich werde mir noch einen Whisky holen, einen doppelten, und vielleicht sehe ich meinen Schatten dann auch nicht mehr. Wer weiß? Ich probier’s einfach.« Und er stand auf.
    »Ich hoffe, er bleibt Ihnen im Halse stecken«, sagte ich.
    »Die Wahrheit kann einem ziemlich im Halse stecken bleiben, nicht?«, bemerkte er.
    Als er zurückgekehrt war, trank er einen großen Schluck, schmatzte mit übertriebener Munterkeit mit den Lippen und sagte: »Ah, das ist herrlich. Mir geht’s so gut, und Sie sind so matt, mein süßes Kind!« Und indem er sich genießerisch auf der Holzbank zurücklehnte, als sei sie eine der gut gepolsterten Sessel im Shepherds, fragte er beiläufig, ohne mich anzusehen: »Verraten Sie mir eins: Warum reden Sie eigentlich nie über Ihren Vater?«
    Ich rang nach Atem. Ich kämpfte mit dem rein körperlichen Gefühl, einen Blutstau in der Lunge zu haben – eine Empfindung, die ich oft gehabt hatte, wenn ich in das eisige Wasser der Seen des Salzkammerguts gesprungen war.
    »Weil es nichts zu sagen gibt«, sagte ich atemlos und stand auf, genauso wie ich aus dem eiskalten Wasser gestiegen wäre. In meiner Eile wegzukommen stieß ich gegen den Tisch.
    »Hinsetzen!«, sagte er. »Sie werfen mein Glas um. Machen Sie mich nicht wütend.«
    Ich setzte mich hin.
    »Aber es gibt

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