Gordon
bekommen.«
»Er ist also durchaus ein bemerkenswerter Mann«, sagte Gordon. »Und trotzdem interessiert er Sie nicht.«
»Nein«, sagte ich. »›Wenn er nicht zu mir gut ist, was schert es mich, wie gut er ist?‹ So empfinde ich es.«
»Aber dann liegt Ihnen doch etwas an ihm«, bemerkte Gordon, »es macht Ihnen eine ganze Menge aus, dass er Sie nie sehen wollte.«
»Ich denke nie darüber nach«, sagte ich, »und außerdem dachte ich früher manchmal, dass meine Mutter es mit Absicht getan hatte, dass sie mich aus purer Boshaftigkeit von ihm fern hielt. Aber meine Mutter traf letzten Endes doch keine Schuld, denn ich war ihm wirklich vollkommen gleichgültig. Mit neunzehn wohnte ich eine Zeit lang bei Freunden der Familie in Wien, und sie meinten, ich sollte mich mit ihm treffen. Es gehöre sich so. Sie setzten sich mit ihm in Verbindung, und er lehnte es ab, mich zu sehen, und sie mussten ihn einige Zeit bearbeiten – das erzählten sie mir erst später –, bevor er sich einverstanden erklärte. Also bitte.«
»Und was war, als Sie sich mit ihm trafen?«, fragte er.
»Nicht viel«, sagte ich. »Ein wildfremder Mensch. Gute Manieren, korrektes Auftreten, schweigsam und eisig. Er ging mit mir zu einer Eiskunstlaufdarbietung, also auch von der Seite her Kälte. Und wir gingen nur dahin, damit er sich nicht mit mir zu unterhalten brauchte.«
»Und Sie hätten sich von ihm Güte und Freundlichkeit gewünscht, habe ich Recht?«, sagte Gordon.
»Seien Sie kein Idiot«, sagte ich. »Er war ein wildfremder Mensch mit kalten Fischaugen. Blauen Augen wie ein Karpfen. Und ich wollte gar nichts von ihm. Er war mir völlig gleichgültig.«
»Das ist das, was Sie glauben wollen«, sagte Gordon, »das ist das, was Sie sich all die Jahre lang eingeredet haben, dass Sie ihn nicht wollten und dass er Ihnen gleichgültig war. Ihnen waren die Trauben zu sauer, stimmt’s?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Sie wussten es sehr wohl«, sagte Gordon, »und deswegen haben Sie sich nie gestattet, über ihn nachzudenken. Der Gedanke wäre Ihnen unerträglich gewesen. Vom allerersten Tag unserer Bekanntschaft an sind Sie, sobald ich das Wort ›Vater‹ aussprach, sofort auf die Barrikaden gegangen.«
»Tatsächlich?«
»Aber ganz bestimmt, mein armes Kind. In der ersten Nacht, wo Sie hier in diesem Zimmer waren und ich das Wort ›Vater‹ aussprach, hätten Sie mir am liebsten etwas angetan. Und gestern im Pub, als ich Sie zum ersten Mal direkt nach ihm gefragt habe, wären Sie um ein Haar weggelaufen, oder etwa nicht? Zum Glück waren Sie von den vorausgegangenen Ereignissen, als Sie den Keks nicht bekamen, noch geschwächt.«
Ich erwiderte nichts.
»Jetzt zurück zu O’Teague«, sagte er lächelnd.
»Gott sei’s gedankt!«, bemerkte ich. »Mir ist alles recht, wenn mit dieser Vater-Geschichte nur endlich Schluss ist!«
Gordon sagte: »O’Teague taucht auf und verschwindet nach zwei Tagen wieder. Danach drei Jahre lang nichts. Wir haben also auf der einen Seite Ihren Vater – alt, exzentrisch, sonderbar, bemerkenswert und unbekannt. Sie wollten ihn und konnten ihn nicht bekommen. Er ist irgendwo, aber man kommt nicht an ihn heran.«
»Das stimmt«, sagte ich, »ich kenne nicht mal seine Adresse.«
Gordon fuhr fort: »Auf der anderen Seite haben wir O’Teague. Alt, vielleicht als Schauspieler bemerkenswert, sonderbar, exzentrisch, unbekannt. Sie wollen ihn, und Sie können ihn nicht haben. Sie wissen nichts über ihn. Er ist irgendwo, aber man kommt nicht an ihn heran.«
Er beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn und umfasste meine Handgelenke.
»Warum verspürten Sie anfangs keinen Wunsch, mit O’Teague zu schlafen?«
»Ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Und drei Jahre später brannten Sie förmlich nach ihm«, sagte er, und weiterhin meine Handgelenke umklammernd, legte er meine Hände auf seine Knie und hielt sie dort fest. »O’Teague hätte auf Sie überhaupt keinen Eindruck gemacht, wenn Sie nicht gezwungen gewesen wären, drei Jahre lang nach ihm zu jammern, nach ihm zu suchen und seinetwegen in Ungewissheit zu schweben. Es war diese dreijährige Abwesenheit, die Suche nach dem großartigen bemerkenswerten, exzentrischen alten Mann, was ihn in die Liebe Ihres Lebens verwandelt hat. Aber natürlich war er in Wirklichkeit lediglich eine dürftige, schäbige, drittklassige Kopie Ihres Vaters.«
»Das haben Sie sich alles ausgedacht, das ist nicht wahr!«, rief ich
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