Gordon
ich lief zu ihm hin und griff nach seiner Hand. Und verbrannte mich. Er hielt die Zigarette so – mit herunterhängendem Arm und dem Handrücken nach vorn und der Zigarette zwischen den Fingern, in der hohlen Hand, so dass sie versteckt war. Ich hätte unmöglich wissen können, dass sie da war. Da haben Sie’s also – ich will ihn begrüßen, und er verbrennt mich.«
»Das ist nicht wahr«, sagte Gordon, »das haben Sie sich ausgedacht.«
»Habe ich nicht!«, rief ich aus. »Ich habe die Blase noch deutlich vor Augen, die ich da bekommen habe, am Finger.«
»Nein«, sagte Gordon, »Sie haben es sich ausgedacht. Sie haben es wahrscheinlich geträumt, und es hat sich in Ihrer Erinnerung festgesetzt.«
»Aber woher wissen Sie das?«, fragte ich.
»Spielt keine Rolle. Ich weiß es eben«, sagte er, »und Sie haben überhaupt keine Erinnerung mehr an Ihren Vater. Vielleicht werde ich Sie eines Tages dazu bringen, sich zu erinnern. Aber momentan passt es mir nicht. Mein süßes Kind.«
Ich bewegte die Schultern, um das bange Frösteln zu verscheuchen, das mich überkommen hatte; und als er stumm blieb, fing ich an, ihm von Monica zu erzählen, weil es das Erste war, was mir einfiel.
»Ich mag sie sehr«, sagte ich, »aber ich habe immer Schuldgefühle, wenn ich sie sehe. Sie weiß nichts davon, aber ich fühle mich trotzdem schuldig.«
»Reden Sie weiter«, sagte er. »Wir essen in der Edgware Road. Das wird mich unterhalten, bis wir da sind.«
Ich hatte Monica kennen gelernt, als ich achtzehn war und sie ein Jahr älter. Sie war in meine Heimatstadt gekommen, um dort zu studieren, und jeder, der sie kennen lernte, behandelte sie mit der allergrößten Liebenswürdigkeit; das hatte aber nichts mit ihren persönlichen Vorzügen zu tun – den Vorzügen eines gut aussehenden, bescheidenen und intelligenten Mädchens. Ihr Vater war einer der reichsten Männer des Landes. Ich kannte Monica seit etwa einem halben Jahr, als sie mich zu einer Teegesellschaft in ihre kleine Wohnung einlud.
Als ich dort ankam, fand ich im Wohnzimmer vielleicht fünfzehn junge Männer vor, ihrem Aussehen nach Studenten und, wie ich mit einem raschen Blick feststellte, durchweg unattraktiv. Sie saßen so, dass sie ein Oval bildeten, und am hinteren Ende des Zimmers stand, gegen die Wand gelehnt, ein viel älterer Mann mit den Händen in den Taschen und hielt eine Rede.
Ich schnappte etwas von »Zollschranken« und »laisser-faire« auf. Als ich eintrat, sah er mich an und sprach weiter. Ich war offensichtlich mitten in eine Vorlesung hineingeplatzt.
Monica winkte mich zu einem Stuhl, der in der Nähe der Tür stand, und flüsterte mir ins Ohr: »Ich musste sie seinetwegen einladen. Er trägt nun mal so gern seine Lieblingstheorien vor. Er ist hier nur für zwei Tage zu Besuch.«
»Wer ist das?«, murmelte ich.
»Mein Vater«, erwiderte sie.
»Aber er sieht dir gar nicht ähnlich«, flüsterte ich.
»Ich schlage meiner Mutter nach«, sagte sie.
Ich setzte mich und versuchte zuzuhören. Es war so, wie wenn man im Zug einschläft: mit Phasen der Wachsamkeit, die von Phasen des Schlummers überflutet werden.
Er sah überhaupt nicht reich aus. Er hatte ein schmales, dünnlippiges, intelligentes, hungriges Gesicht, mit dunklen, hungrigen, brennenden Augen und dunklem, grau werdendem Haar, das ihm in unordentlichen Wellen um die Stirn lag. Er war nachlässig in knittrige alte Tweedsachen gekleidet. Als er zu sprechen aufhörte, sah ich, wie Monica, von zwei jungen Männern gefolgt, lachend und schwatzend den Raum durch die andere Tür verließ; offensichtlich wollte sie den Tee richten. Dann sah ich, dass ihr Vater auf mich zukam. Ich war etwas befangen, weil ich nicht wusste, ob es mir gelungen war, meine Langeweile zu verbergen, und hoffte, er würde mich nicht fragen, wie mir seine Vorlesung gefallen hatte.
Er blieb an meinem Stuhl stehen, ohne den Blick von mir zu wenden. Ich entschied, dass es albern gewesen wäre, der Ökonomie ins Gesicht zu lächeln; ich sah ihm ernsthaft in die Augen.
»Würden Sie heute Abend mit mir ins Kino gehen?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich.
»Wir treffen uns um neun im ›Elysée‹«, sagte er, drehte sich um und entfernte sich. An dem Nachmittag sprachen wir kein weiteres Wort miteinander.
Als wir uns am Abend trafen, wurden wir in eine Loge geführt. Der Film hatte schon angefangen. Ich sah zur Leinwand, und er sah zu mir. Einmal hob er die Hand von der mit rotem Plüsch bezogenen Brüstung
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