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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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eigenen Zustand vergleichen zu können hatte mir ein Gefühl der Überlegenheit gegeben.
    Zwischen ihnen und mir verlief eine unsichtbare, aber unüberwindliche Barriere, wie die unsichtbaren Gitter in modernen Zoos, wo die tropischen Tiere durch eine Wand aus heißer Luft in ihrem jeweiligen Gehege festgehalten werden.
    Gleichzeitig wusste ich, dass sie ihrerseits völlig verständnislos reagiert hätten, wenn sie erfahren hätten, dass ich meine Zufriedenheit einem Mann verdankte, der imstande war, zu sagen: »Ich werde Sie für immer festhalten, weil ich immer neue Wege finden werde, Sie zu quälen«, und dass mein persönliches Paradies mit dem grünen Teppichboden, den hellen, maschinell verzierten Möbeln und den Pressglasvasen nur deswegen das Paradies war, weil ich mich nicht aus eigener freier Entscheidung dort aufhielt, sondern als Sklavin festgehalten wurde.
    An diesem Nachmittag bekam ich die Pressglasvasen allerdings gar nicht erst zu sehen; denn kaum hatte er die Tür hinter mir geschlossen, hob Gordon mich hoch, legte mich auf den Fußboden des Flurs und nahm mich dort in Besitz.
    »Das ist ein entsetzlich ödes Lokal«, bemerkte ich, als wir uns zum Dinner an den Tisch setzten. »Wenn es wenigstens schmuddelig wäre – aber nein. Es ist abstoßend sauber und hell. Der Geschäftsführer ist bestimmt ein Schweizer.« Er hatte mich in ein Restaurant in der Baker Street geführt, wo wir noch nie gewesen waren.
    »Ich fühle mich selbst entsetzlich öde«, sagte er, »das sind die Nachwirkungen des Heimaturlaubs. Es war todlangweilig in Schottland. Was die Leute so richtig ausspannen nennen. Dreimal haben sie mich ins Theater geschleppt – das war auch äußerst entspannend. Ich kann das Theater nicht ausstehen, denn ich muss da immer meine ganze Kraft aufbieten, um nicht einzuschlafen.«
    »Ich verstehe Sie nicht«, sagte ich, »ich liebe das Theater.«
    »Was auch immer auf der Bühne passiert«, sagte er, »ist nichts im Vergleich zu dem, was mir meine Patienten erzählen.«
    »Das ist doch lächerlich!«, sagte ich. »Ihre Patienten, das ist das Leben. Und das Theater ist Kunst. Wenn jemand von einem Wagen überfahren wird, ist es sehr traurig, aber daraus lässt sich kein Theaterstück machen. Aber wenn jemand wüsste, dass der Wagen kommt, und trotzdem hineinliefe und ums Leben käme, das wäre eine Tragödie im griechischen Sinne. Das wäre Kunst.«
    »Das wäre ebenfalls das Leben, mein armes Kind«, sagte Gordon, »und ich wünschte, die Leute würden nicht zu allem Pommes frites servieren.«
    »Das hätte ich Ihnen gleich sagen können, als ich das Lokal gesehen habe«, sagte ich, »aber Sie haben einfach kein Gefühl für Atmosphäre.«
    »Oje, oje, jetzt wollen Sie mich wieder bestrafen«, sagte er mit vor Betroffenheit bebender Stimme und senkte den Kopf. »Warum habe ich nur immer ein solches Pech mit Frauen?«
    Ich lachte.
    Als ich in dieser Nacht erschöpft im Bett lag, saß Gordon, in seinen mit Drachen übersäten Morgenrock gehüllt, am Schreibtisch und rauchte. Ich dachte ärgerlich, dass er genauso glatt und gleichgültig und unverwundbar aussah wie die schwarze Katze, als sie durch die eingeschlagene Fensterscheibe in Mr. Sewells Küche herein geglitten war und die mit Worcestersauce gewürzten Sardinen verzehrt hatte.
    »Jetzt gehen wir ins Bett«, sagte er, »es ist Zeit für Sie zu schlafen.«
    Ich kniete mich hin und hob die Kissen wieder auf, die beiseite gestoßen worden und auf den Boden gefallen waren, denn in seinem Verlangen, mich flach ausgebreitet zu haben, duldete er es nie, dass mein Kopf auf den Kissen lag; wenn er sich schlafen legen wollte, legte ich sie ihm immer wieder zurecht.
    Ich sah ihn zum Schrank gehen und eine von dessen vier kleinen Türen öffnen. Als er sich wieder umdrehte und auf mich zukam, blieb ich wie versteinert auf meinen Fersen sitzen und stieß erst einen Schrei aus, als er direkt vor mir stand.
    Er war lächelnd auf mich zugekommen und hatte eine große Schere mit beiden Händen empor gehalten, und als ich schrie, ließ er sie einen Fingerbreit vor meinem Gesicht zuschnappen.
    »Wovor fürchten Sie sich so?«, fragte er mit einem zutiefst amüsierten Lächeln.
    »Legen Sie sie weg«, sagte ich.
    Er legte die Schere wieder in den Schrank, kehrte zurück und setzte sich auf die Bettkante.
    »Was dachten Sie denn, was ich mit Ihnen tun würde?«, fragte er.
    »Ich dachte, Sie würden mir die Brüste abschneiden«, sagte ich.
    »Das ist ganz

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