Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)
sein konnten, ging darauf nicht ein. Der Aufzug war nicht kaputt; er hatte ihn vor einer Viertelstunde ja noch selbst benutzt. Er war sich seiner Sache so sicher, wie noch nie.
„Benutzen Sie das Treppenhaus“, schlug er vor.
„Dauert zu lange, bitte lieber Mann, machen auf, muss telefonieren, sonst stirbt Tochter. Hat verschluckt Gräte von Fisch, Arzt muss kommen. Bitteeeeeeee !!!“
„Eine Fischgräte, so, so“, sagte Hollow gedehnt, jedoch nur, um Zeit zum Überlegen zu gewinnen.
Eine Fischgräte.
Etwas Banaleres hätte sich die Frau Nachbarin wohl nicht einfallen lassen können. Wenn es wirklich so schlimm war, dann blieb der Frau gar nichts anderes übrig, als das Treppenhaus zu nehmen, um eine andere Etage zu erreichen. Tat sie es nicht, dann gefährdete sie das Leben ihrer Tochter fahrlässig, indem sie hier vor seiner Tür nur kostbare Zeit verschwendete. Keine Mutter auf der Welt würde sich so verhalten. Blieb sie also vor seiner Tür, dann stimmte ihre Geschichte nicht, und dann war er nur gut beraten, sie nicht hereinzulassen.
„Es tut mir leid“, beendete Hollow die Unterhaltung mit einer glatten Lüge und ging in die Küche zurück, wo er die Tür hinter sich schloss, um das neuerliche Klopfen und die schrillen Schreie der Frau nicht mehr hören zu müssen. Trotzdem drang der Lärm noch dumpf zu ihm durch.
Anscheinend war in diesem Stockwerk tatsächlich niemand zu Hause, denn sonst hätte der Krach schon längst dafür gesorgt, dass ein Dutzend neugieriger Personen sich vor seiner Wohnung versammelte.
Nach einiger Zeit brach das Geschrei ab. Na bitte.
Hollow setzte sich erleichtert an den Küchentisch und trank einen Schluck Kaffee. Er schmeckte bitter. Das rosa Schweinchen lachte ihn aus, was jetzt ganz offensichtlich war. Kalte Wut stieg in Hollow auf, die sich unvernünftigerweise gegen die Tasse richtete.
Er hatte genau richtig gehandelt, und daher hatte dieses verdammte rosa Mistvieh keinen Grund, über ihn zu lachen. Überhaupt keinen . Die Person, die er seit einiger Zeit verdächtigte, ein mörderischer Blutsauger zu sein, hatte sich ihm eben gerade auf drastische Weise offenbart, doch er war auf diesen plumpen Trick mit ihrer Tochter nicht hereingefallen.
Gab es denn überhaupt jemanden, der diese Mrs. Santamariaoderso jemals bei Tageslicht gesehen hatte? Nicht nur im fahlen Schein der Neonröhren der Etagenflure, sondern im Sonnenlicht? Das zu erfahren wäre einmal sehr interessant gewesen.
Angestrengt lauschte Hollow, ob jenseits seiner Wohnungstür etwas geschah, doch er hörte nichts, zumal die Küchentür ja noch immer geschlossen war.
Stattdessen vernahm jetzt er den noch sehr weit entfernten Sirenenton eines Rettungswagens, der sich jedoch von Sekunde zu Sekunde immer deutlicher zu dem nervenaufreibend monotonen Konzert steigerte.
Der Notarztwagen hielt schließlich mit ersterbender Sirene direkt unterhalb von Hollows Küche. Sofort war er am Fenster. Er sah zwei Männer mit einer Bahre herausspringen und um die Ecke verschwinden, wo sich unter anderem auch der Haupteingang zu diesem Haus befand. Allerdings auch die Zugänge zu den drei Nachbarhäusern, die in der Bauweise allesamt identisch waren. Es konnte also auch durchaus Zufall sein. Hollow verließ die Küche und ging zur Wohnungstür, an die er sein rechtes Ohr legte. Er wartete auf das Geräusch, das der Aufzug machte, wenn er in Bewegung gesetzt wurde, doch nichts geschah. War der Aufzug am Ende doch kaputt?
Hollow glaubte es nicht, musste aber dann mit anhören, wie die Tür zum Treppenhaus aufgestoßen wurde und eilige Schritte über den Flur jagten. Aufgeregte Stimmen mischten sich dazu, Türen gingen, und plötzlich herrschte draußen ein außerordentlicher Tumult, aus dem ganz deutlich die krächzende Stimme von Mrs. Glenmore herauszuhören war. Sie war es, die den Notärzten lauthals den Weg zu der Tür einer bestimmten Wohnung wies, und dann herrschte für kurze Zeit ein wenig Ruhe.
Hollow legte sich auf den Boden und probierte vergeblich, einen Blick unter der Tür hindurch auf den Flur zu erhaschen, aber er wusste auch so, dass es sich um die Wohnung der Frau handelte, die noch vor Minuten vor seiner Tür gestanden hatte.
Er wagte es nicht, die Tür einen Spalt zu öffnen, wobei er nicht sagen konnte, wen er im Moment mehr fürchtete: die Vampirfrau aus der Nachbarwohnung oder Mrs. Glenmore.
Nach einer Weile stieg der Geräuschpegel wieder an, und die Schritte entfernten sich ebenso eilig,
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