Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)
letzten Tages seines Lebens.
Auf dem Flur, direkt vor seiner Wohnung, saß das kleine Mädchen auf dem Boden und schaute ihn böse an.
Hollow wollte zuerst die Tür wieder schließen, doch es gelang ihm gerade so eben, diesen Impuls zu unterdrücken. Immerhin war er der Erwachsene und brauchte doch vor einem kleinen Kind keine Angst zu haben.
Trotzdem machte das Kind ihm Angst. Er wusste nicht weshalb.
„Du bist ein ganz viel schlechter Mensch“, eröffnete das Kind die Unterhaltung.
„Was fällt dir ein?“ blaffte Hollow rechtschaffen verärgert zurück. „Ich denke, dafür, dass du angeblich dem Teufel gerade noch von der Schippe gesprungen bist, hast du ein ganz schön freches Mundwerk.“
„Nicht vom Teufel reden“, wurde Hollow von dem Kind zurechtgewiesen. „Sonst wird er dich holen.“
Hollow wusste nicht genau, was er jetzt darauf antworten sollte. Wenn er es genau nahm, dann hatte das Kind nicht so ganz unrecht. Er hatte es in der Tat mit mindestens einer Kreatur in diesem Haus zu tun, die dem Teufel gleichzusetzen war. Soviel zu dem Vampir.
Andererseits konnte er sich von einem Kind so etwas nicht bieten lassen. Was bildete sich die Göre überhaupt ein?
„Hör mal“, hob er an, „ich glaube, jemand muss dir einmal gehörig ...“
Das Kind stand auf und kam mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn zu.
„Du wolltest nicht helfen, weil wir Ausländer sind. Du bist schlecht. Meine Mutter ist wegen dir krank geworden und musste ins Krankenhaus, weil du nicht helfen wolltest. Wir haben dir nichts getan, doch dir war es egal, ob ich sterbe. Bis die Männer vom Krankenhaus kamen, hatte ich die Fischgräte schon wieder ausgehustet. Die Männer wären viel zu spät gekommen, aber sie wären viel früher da gewesen, wenn du meine Mutter hättest telefonieren lassen. Sie hat mir alles erzählt. Du bist ein schlechter, böser Mensch.“
Ihr Zeigefinger (was hatte sie doch für lange Fingernägel) war jetzt nur noch einen halben Meter von seiner Brust entfernt. Hollow befand sich in einer Art Schreckstarre, die es ihm unmöglich machte, das zu tun, was er jetzt am liebsten getan hätte. Nämlich die Tür zuzuknallen und sich in seinen vier Wänden zu verkriechen. Zu warten, dass dieser entsetzliche Tag endlich vorüberging, damit er wieder für vier Wochen Ruhe hatte. Aber er konnte nicht.
Mit dem gebannten Blick eines Kaninchens verfolgte er jede Bewegung, die von der chromblitzenden Zahnspange des mit schlangenhaft lautlosen Schritten näherkommenden Mädchens ausging. Was verbarg sich hinter der Spange? Hatte sie wirklich schiefe Zähne, oder waren sie einfach nur anders?
Ein wenig länger vielleicht? Und spitzer?
Das Kind schien vor ihm jedenfalls nicht die geringste Angst zu haben, und in ihren Augen lag nun der Ausdruck, den er bei dem Schweinchengesicht auf der Scherbe zuletzt nicht hatte deuten können.
Jetzt gelang es ihm.
Es war Verachtung.
Das Neonlicht wurde von der Zahnspange reflektiert, und jetzt sah Hollow, dass das Kind grinste. Höhnisch grinste. Die Kleine musste irgendwie spüren, dass er Angst hatte.
Oder war es die Vorfreude auf das, was kommen würde?
Hollows Kehle entwich ein lang gezogener Laut, der einer tiefen Tonlage entsprang und nach zwei Oktaven in einem schrillen Höhepunkt endete. Mit diesem Signal, bei dem sogar das Mädchen ängstlich zusammenfuhr und nun gar nichts Unheimliches mehr an sich hatte, löste sich endlich Hollows Erstarrung. Er stolperte rückwärts in seine Wohnung, wobei er gleichzeitig die Tür mit solcher Wucht ins Schloss warf, dass ein paar vereinzelte Knoblauchzehen sich vom Türrahmen lösten und über den Fußboden purzelten.
„Und du hast eine ganz hässliche, dicke Nase!“, hörte er die Kleine ihm zum Abschied zurufen.
Hollow saß schweißgebadet wieder an seinem Küchentisch und vergrub den Kopf in seinen Händen.
Er musste also das Kind im Auge behalten.
Die Mutter war es offenbar nicht, aber das Kind könnte das sein, wovor er sich zu schützen versuchte. Vielleicht ...
Das Telefon klingelte aus dem Schlafzimmer in seine quälenden Gedanken hinein, was seine Laune nicht gerade besserte. Er liebte es nicht, bei wichtigen Überlegungen gestört zu werden.
Widerwillig ging er zum Apparat und nahm ab.
„Hollow.“
„Hallo Kartoffelnase, rate mal, wer ich bin ...“
Hollow setzte sich auf das Bett und wollte es nicht glauben. Es gab auf der ganzen Welt nur einen einzigen Menschen, der ihn so nannte.
„Margot, was zum
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