Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)
streitlustiger Krähen begrüßt.
Es wird allerhöchste Zeit. Der Geburtstag Jesu Christi kann leicht zu meinem Todestag werden, wenn ich nicht bald Nahrung aufnehme. Ich bin tatsächlich krank geworden und fühle mich stetig immer schwächer werden, was durch immer wiederkehrende Salven von Schweißausbrüchen, Krämpfen, Schüttelfrost und Fieber untermalt wird.
In meiner größten Not habe ich letzte Nacht versucht, eine Wurzel, die sich bei meinem Brennholz befunden hatte, zu zerbeißen und herunterzuschlucken. Ich erbrach postwendend wieder die bräunlichen Klumpen, auf die ein Schwall grüner Gallenflüssigkeit folgte.
Die Nacht war schlimm, für kurze Zeit befand ich mich im Delirium.
In meinen fiebrigen Wahnvorstellungen lag ich in feuriger Umarmung mit der nackten, toten Frau, die wieder lebendig geworden war.
Und die sich in monotoner Rhythmik unter mir bewegte, Stunde um Stunde, mit maschinenhafter Gleichgültigkeit. Ihr Atem ging schnell und flach, doch ihre Haut war kalt, und ihre Augen waren weiterhin die gebrochenen Augen einer Toten.
Obwohl es mir am Morgen schon etwas besser geht, ahne ich, dass der Tag ein so großes Schrecknis für mich bereithält, dass ich mir sogar die krankhaften Träume der Nacht zurückwünsche.
Doch vielleicht bringt der Tag auch Linderung.
Der Leichnam ist über Nacht aufgetaut, und ich beginne zu schneiden.
Zitternd setze ich das Rasiermesser am rechten Ellenbogen der Frau an und durchtrenne das Fleisch bis zum Gelenk. Es ist so gut wie kein Blutfluss vorhanden, was mich ein wenig beruhigt. Der Anblick einer größeren Menge vergossenen Blutes hat auf mich noch nie eine gute Wirkung gehabt. Ich spüre, wie sich die Klinge durch Gewebe, Sehnen und Knorpel gräbt, bis der Knochen erreicht ist. Das Messer kann, all meinen Bemühungen zum Trotz, das Gelenk nicht durchtrennen, was mich zu der schlimmsten aller Maßnahmen zwingt. Ich packe den Oberarm mit der einen, den Unterarm mit der anderen Hand. Dann drehe ich die beiden Teile in entgegengesetzter Richtung mit aller Kraft um. Das Geräusch, das dabei entsteht, ist unbeschreiblich, aber ich habe damit angefangen, und bei Gott, falls es einen gibt, ich muss es jetzt auch zu einem Ende bringen.
Du musst es tun.
Bänder und Knorpel reißen, was mich auf schrecklichste Weise tatsächlich an meine letzte Weihnachtsgans vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren denken lässt, und plötzlich löst sich der Unterarm mit einem ekelerregenden Knirschen aus dem Gelenk.
Ich sehe mich als kleinen Jungen einen Gänseschenkel in der Hand halten, der unmittelbar vorher von einer Heimschwester mit eben diesem Geräusch vom knusprigen, goldbraunen Rumpf der Gans abgetrennt worden war.
Erst als ich den Arm in der Hand halte und fassungslos darüber bin, was ich eben getan habe, fällt mir die kleine Rose auf, die auf dem Handrücken zwischen Daumen und Zeigefinger eintätowiert ist.
Ich lege das Armstück beiseite und nehme aus der Sammlung meiner gefundenen Schätze die lange Autoantenne heraus, die, wenn man sie richtig einzusetzen weiß, ein gutes Instrument zur Selbstverteidigung abgibt.
Diesmal brauche ich sie für etwas anderes.
Ich schiebe das angespitzte Ende der Antenne durch das Armstück (wobei ich mehrmals absetzen muss, so furchtbar ist dieser Vorgang), und irgendwie bringe ich es fertig, das Ganze einen halben Meter über dem Feuer zu befestigen, wodurch ich einen ziemlich brauchbaren Grill improvisiere.
Während das Fleisch brät, drehe ich mich zum Fenster um und sehe hinaus, um den Anblick des nun erheblich verstümmelten Mädchens nicht mehr vor Augen zu haben.
Und weil ich durch ein leises, unaufdringliches Geräusch aufmerksam geworden bin. Meine Sinne haben mich nicht getrogen.
Das, was ich gehört habe, ist das Rieseln fallenden Schnees, das sanfte Auftreffen der blütenweißen Flocken auf meiner Fensterscheibe. Draußen ist es mit einem Mal sehr dunkel geworden, obwohl es noch gar nicht so spät ist. Die Schleifspur, die ich gestern bei dem kräfteraubenden Bergungsakt hinterlassen habe, ist bereits nicht mehr zu erkennen. Am Horizont nehme ich den Lichtschein wahr, der von der Stadt ausgeht. Die Stadt feiert Weihnachten. Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild weihnachtlich geschmückter und mit einer Unzahl elektrischer Kerzen beleuchteter Straßenzüge.
Schaufenster mit Tannenbäumen.
Kinder, die mit klaren Stimmen Weihnachtslieder singen.
Verkleidete Weihnachtsmänner, die als groteske
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