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Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)

Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)

Titel: Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Keiser
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denn noch für eine Rolle?
    Ihr Blick fiel wieder auf den Brief, den sie gerade gelesen hatte.
    Was stand überhaupt drin? Sie hatte es schon wieder vergessen.
    Ihr tauber Geist registrierte lediglich, dass ihr die Schrift bekannt vorkam. Der Brief war von ... Derek?
    Derek?
    Derek war tot, also konnte der Brief nicht von ihm kommen. Und trotzdem glaubte sie, gesehen zu haben, dass Dereks Name am unteren Rand stand.
    Billie-Jane riss sich zusammen, rieb sich die Augen, ignorierte das Zittern und las den Brief erneut. Aber diesmal tat sie es aufmerksamer. Sie brauchte lange, bis sie den groben Inhalt begriffen hatte, und während dieser Zeit saß sie mit starrem Blick auf dem Fußboden.
    Der Tag, an dem alles schief gelaufen war, jagte noch einmal im Zeitraffer durch ihr Gedächtnis. Sie hatte deutlich gesehen, wie die Schrotladung Dereks Kopf zerfetzt und sein Gehirn in alle Himmelsrichtungen verstreut hatte. Diesen Anblick würde sie niemals vergessen, und obwohl ihre eigene Schussverletzung ihr damals fast die Besinnung geraubt hatte, war der Anblick von Dereks auf der Straße liegendem, zuckendem Körper in ihre Erinnerung eingeprägt worden, wie der alte George Washington auf eine Vierteldollarmünze.
    Aber die geschäftlichen Interna, die hier zu lesen waren, konnte nur Derek wissen, also musste der Brief von ihm kommen.
    Hatten sie ihn damals wieder hingekriegt? Konnte man etwa einen abgeschossenen Kopf wieder annähen?
    Billie-Jane war sich da nicht mehr ganz so sicher, was wohl auch am ständigen Drogenkonsum liegen mochte.
    Vielleicht war das alles nur ein einziger Witz, aber das Papier in ihren Händen sprach eine deutliche Sprache. Eigentlich war es gar kein Papier, es fühlte sich eher an wie dickes Pergament ... oder gegerbte Haut.
    Menschenhaut?
    Derek existierte also noch, ganz offensichtlich.
    Aber wo?
    Schrieb er etwa die Wahrheit? Derek war immer verrückt gewesen wie eine unter Strom stehende Tanzmaus, aber für eine solche Geschichte reichte selbst seine Fantasie beim besten Willen nicht aus.
    Sie besah sich den Raum, in dem sie saß.
    In dem sie schon seit Monaten saß und ihre ziemlich langweilige Arbeit meist auf dem Rücken liegend verrichtete.
    Und von einem Augenblick auf den anderen ekelte sie sich dermaßen vor sich selbst, dass sie sich beinahe übergeben hätte.
    Vor wenigen Tagen hatte sie einen ihrer oberen Schneidezähne wegen verloren, als sie Streit mit einem Freier bekommen hatte. Auf ihre einstmals strahlend weißen Zähne war sie immer sehr stolz gewesen, aber damit war jetzt beim besten Willen kein Staat mehr zu machen. Bei wohlwollender Betrachtung sah sie insgesamt zehn Jahre älter aus, als sie war, und wenn sie weiter so abmagerte, dann war sie in einem halben Jahr ohnehin tot.
    Das Heroin fraß sie auf, machte sie weniger, immer weniger und brachte sie am Ende schließlich um, falls nicht noch ein Wunder passierte.
    Aber sie konnte nicht aufhören, und jeden Tag, den der liebe Gott werden ließ, verfluchte sie sich selbst darüber, dass sie damit überhaupt mit dem Spritzen angefangen hatte.
    Wäre Derek da gewesen, dann wäre das nie passiert, dafür hätte er schon gesorgt. Er hätte verhindert, dass aus der gut aussehenden Gelegenheitsnutte Billie-Jane Doehan , die auf ihre Weise zweifellos zu den Berühmtheiten des Landes zählte, eine abgetakelte, wasserstoffblonde Ruine geworden war, die um jeden verdammten Freier froh sein musste, den sie noch bekam, damit sie sich ihren lausigen Stoff leisten konnte, der sie immer weiter herunterkommen ließ.
    Immer weiter herunter.
    Immer weiter nach unten.
    Nach unten.
    Sie las den Brief ein drittes Mal, und erst jetzt begriff sie den Inhalt so richtig.
    Der Brief, an B.-J. D. adressiert, kam augenscheinlich direkt aus der Hölle, und er war kein Witz, was ihr auf eine bestimmte Weise auch ganz recht war. Irgendwo gab es also doch noch jemanden, der an sie dachte und der sie womöglich gar mochte. Derek war nie übermäßig bösartig zu ihr gewesen, und dafür hatte sie ihn ... gern gehabt. Und als er schließlich in seinem Blut gelegen und mit seinen Beinen gezuckt hatte, während die Hälfte seines Kopfes sich die Schaufensterauslagen zwei Häuser weiter angesehen hatte, da war ihr schlagartig bewusst geworden, dass ihre guten Träume, sofern sie je überhaupt welche gehabt hatte, ebenfalls auf der Straße verspritzt herumlagen. Die besseren Zeiten waren ab da vorbei, aus und vorbei, und das Leben würde von nun an die Hölle

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