Gorian 2
Caladran gegen die Sonnenflüchter gekämpft hatten, nicht mehr gegeben. Damals, so lauteten die Überlieferungen, die auch Gorian inzwischen bekannt waren, war das Klima auf den Inseln noch weitaus rauer gewesen, und erst ein intensiver Wetterzauber und die Anwendung der Magie der Wasserströme hatten dazu geführt, dass die Witterung milder wurde. Aber offenbar waren diese uralten Zauber zu schwach geworden, um dem sich ausdehnenden Einfluss des Frostreichs weiter standzuhalten.
Am dritten Tag, nachdem Rudanas’ Himmelsschiff zu
den Sternen aufgebrochen war, wurden Torbas und Gorian zu einer Audienz gerufen. Abrandir empfing sie in einem Zimmer seiner Privatgemächer. Außer dem König und seiner Gemahlin Orawéen waren überraschenderweise auch der Namenlose Renegat und der Maskierte anwesend.
Gorian verneigte sich vor dem Königspaar, und Torbas folgte seinem Beispiel. Abrandir nahm dies mit teilnahmsloser Miene hin.
Eine Lichtskulptur, die eine kugelförmige Abbildung Erdenrunds zeigte, bildete das Zentrum des Raums. Gorian bewunderte den Detailreichtum, mit dem die Küsten nachgezeichnet waren. Die Karten und Globen der Menschen zeigten lediglich die bekanntesten Länder Ost-Erdenrunds in einer annähernd vergleichbaren Genauigkeit. Was jenseits des östlichen Ogerlandes und des Basilisken-Reichs lag, wurde auf diesen Darstellungen zumeist nur noch vage angedeutet, denn was man von diesen Gebieten wusste, basierte auf nicht viel mehr als Hörensagen.
Noch mehr galt das für die anderen Kontinente Erdenrunds. Zwar hatten Zahlenmagier längst den Umfang des Planeten und seinen Abstand zur Sonne errechnet, aber über die Länder West-Erdenrunds wussten die Menschen so gut wie nichts und noch weniger über den dritten Kontinent, den die Caladran Athranor nannten.
»Ein Abbild unserer Welt«, sagte Orawéen. »Aber es ist möglich, dass es schon sehr bald nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. Die Eispanzer werden sich ausdehnen, und sollte Rudanas einst von seiner Sternenreise zurückkehren, dürfte ihm Erdenrund wie ein einziger riesenhafter schmutziger Schneeball erscheinen.«
»Umso wichtiger ist es, Morygors Pläne zu vereiteln«, stellte Gorian klar.
»Aus diesem Grund sind wir hier zusammengekommen«, meldete sich der Namenlose zu Wort
Gorian wandte sich ihm zu. »Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen.«
»Es waren viele Beratungen zu führen und Vorbereitungen zu treffen. Nun aber kommt unser Plan in eine Phase, in der man diejenigen einbeziehen sollte, welche die Hauptlast tragen werden. Die Invasion des Frostreichs hat begonnen, und seit der erste Eisberg vor Caladrania gesichtet wurde, dürfte das jedem Caladran klar geworden sein.«
»Von was für einem Plan sprecht Ihr?«
» Meinem Plan«, ergriff König Abrandir das Wort. »Auf der Insel Pela steht eine Apparatur, die offenbar bereits die Aufmerksamkeit von Spionen und neugierigen Beobachtern erregt hat, denn wie könntet Ihr sonst schon davon gehört haben.« Er ging zu dem Licht-Globus und machte eine Handbewegung, woraufhin sich der Globus auflöste und der Abbildung jener Apparatur wich, von der Abrandir gesprochen hatte. »Sie gleicht einem Hohlspiegel, der mit Magie aufgeladen wird, sodass sie über eine sehr große Entfernung hin wirksam werden kann.«
»Ihr Einfluss reicht bis zu den Gestirnen?«, fragte Gorian erstaunt. Faszination und Bewunderung über diesen Triumph caladranischer Erfindungsgabe und Magie klang in seinen Worten mit. »Im Reich des Geistes habe ich nichts davon entdeckt. Eigenartig.«
»Absicht!«, widersprach König Abrandir. »Morygor hat Zugang zum Reich des Geistes; den können wir ihm ebenso wenig verwehren wie dem Namenlosen Renegaten, obwohl es in der Vergangenheit ganz gewiss viele Caladran gab, die Letzteres befürwortet hätten. Aber so hat der legendäre Magier Andir einst den Kristall geschaffen: Niemand, der
über ihn jemals Zugang zu seinem Reich erlangte, kann daraus wieder verbannt werden, und alles, was sie tun oder denken, hinterlässt dort mehr oder minder starke Spuren.«
»Die Freiheit des Geistes«, stellte Gorian fest. »Sie war das höchste Gut, an das Andir glaubte.«
Abrandir lächelte. »Ihr habt schon viel gelernt. Vielleicht würdet Ihr es sogar schaffen, wie ein Caladran zu denken und zu leben, hättet Ihr noch ein oder zwei menschliche Lebensspannen lang Zeit, uns zu studieren.«
»Warum sind wir hergebeten worden?«, fragte Torbas. Sein Sprechstein hatte ihm die bisher
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