Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Gotland: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Östlundh
Vom Netzwerk:
waren vollkommen unverständlich. Er war da, aber er war für sich und konnte zu niemandem Kontakt aufnehmen.
    »In der Unfallsache mit dem Pferd musste ja ermittelt worden sein, aber wir fanden nie eine Akte«, sagte sie. »Ein Unfall am Arbeitsplatz vor dreißig Jahren … Wahrscheinlich war die Akte aussortiert worden oder verschlampt, was weiß ich, in unserer Kartei gab es jedenfalls keine Spur davon.«
    Sara legte ein Bein über das andere und rutschte tiefer in den Sessel.
    »Doch schließlich fanden wir einen Zeugen. Ragnar Jonsson. Er arbeitete damals auf dem Hof, als es passierte. Er hatte den Unfall nicht mit eigenen Augen gesehen, aber die Schreie gehört und war sofort zum Stall gerannt. Er scheint bis heute nicht darüber hinweggekommen zu sein, dass Traneus den Jungen zu diesem Pferd hineingeschickt hatte. Möglicherweise wäre Arvid mit Valdemar fertig geworden, meinte er, aber nicht sein Cousin. Niemals. Der habe das Pferd überhaupt nicht gekannt.«
    Die Szene, die Sara Fredrik schilderte, fesselte ihn, und er vergaß für eine Weile, dass er am liebsten nur zu den Stellen vorgespult hätte, die mit ihm zu tun hatten. Ragnar Jonsson war so schnell gerannt, dass er auf dem nassen Betonboden beinahe ausgerutscht wäre. Die Szene, die sich dem Stallburschen dann eröffnete, nahm Fredrik vollkommen gefangen. Das Pferd in der offenen Box, zornig, aber still. Der Junge im Stroh, leblos auf der Seite liegend, und neben ihm Arvid, der ihn reglos anstarrte. Arvid, der doch sonst nie zögerte, nie eine Antwort schuldig blieb und vor keiner Herausforderung zurückschreckte. Für ein paar Sekunden, so schien es Jonsson, habe Arvid in einen Abgrund gesehen, für den er nicht im Geringsten gewappnet war. Und der Abgrund starrte zurück.

37
     
    Ricky wusste nicht mehr, was er damals im Keller gewollt hatte und ob er elf oder dreizehn gewesen war. Vielleicht war es auch nicht nur einmal, sondern mehrmals passiert. Aber er erinnerte sich an Stefania.
    Er sah sie vor sich. Ihre langen blonden Haare waren spröde geworden und standen wie elektrisiert vom Kopf ab, wenn sie frisch gewaschen waren. Sie sah aus wie eine Pusteblume, durch die die Sonne scheint. Jetzt erinnerte er sich genau. Stefania hatte ihre Haare gehasst. Sie hatte sie dauernd eingesprüht und Gel draufgeschmiert.
    Dann fiel ihm ihr langer, zerbrechlicher Körper über der Kloschüssel ein. Klar und deutlich hatte er das Bild vor Augen, aber hatte er sie wirklich gesehen?
    Die Erinnerungen waren deutlich, aber jetzt nach elf, zwölf oder auch dreizehn Jahren konnte er nicht mehr genau sagen, wann er sie gesehen hatte. Was hatte er überhaupt im Keller gemacht? War er ihr nachgeschlichen, als sie versuchte, unauffällig im Keller zu verschwinden?
    Vielleicht bildete er sich alles nur ein, ein Phantasiegebilde. Das war durchaus möglich. Aber so etwas entstand nicht aus dem Nichts. Er hatte sie zumindest gehört. Er erinnerte sich noch an die Geräusche aus der Toilette unten in der Sauna. Er dachte, sie wäre krank, nahm an, sie hätte sich den Magen verdorben. Sich übergeben zu müssen war so ekelhaft. Man wollte um jeden Preis darum herumkommen, wurde jedoch von Wellen der Übelkeit und kaltem Schweiß übermannt. Er hatte gedacht, dass es Stefania auch so ging. Er glaubte, sie würde sich mit aller Kraft dagegen wehren. Am Ende habe sie aufgeben und in den Keller schleichen müssen, wo die Magenkrämpfe und all das Saure und Ekelhafte in ihrem Innern die Oberhand gewonnen hatten. Was für eine seltsame Kraft, die einem Gewalt antat, weil sie hinauswollte. War das so, weil man Widerstand leistete? Ja, er zumindest machte das. Es war falsch, es war grauenhaft, ein Albtraum und nichts, was man sich jemals freiwillig angetan hätte. Was man einmal gegessen hatte, sollte einen nicht auf diesem Wege wieder verlassen.
    Er hatte sie ganz bestimmt gehört. Einmal, vielleicht öfter. Warum sollte sich ihm sonst dieses Bild eingeprägt haben? Er dachte, sie wäre krank. Das war ja auch durchaus möglich. Als Kind war ihm oft schlecht. Kaum war er krank, musste er sich übergeben. Aber warum sie heimlich in den Keller ging wie ein krankes Tier, das sich einen ruhigen Platz zum Sterben sucht? Wieso wollte sie nicht, dass man sich um sie kümmerte, wie man ihn pflegte, wenn er krank war? Mamas Hand auf seiner Stirn, ein kühler feuchter Waschlappen, mit dem einem der Schweiß und das Erbrochene abgewischt wurden, ein Glas Wasser, das einem an die Lippen

Weitere Kostenlose Bücher