Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
unsinnigen Vortrag
zu halten, wobei Kris immer wieder dazwischenquatscht.
»Könntet ihr Arschgeigen mal die Klappe halten?«, sagt Becky.
»Mann, und das vor den eigenen Kindern ...«, sagt Morgan.
»Unmöglich, so was«, sagt Kris und schüttelt den Kopf, während Miles und Danny kichern.
»Ich will nur sagen ...«, Becky hebt ihr Bierglas, »dass ich glaube, angesichts dessen, wie die Ernte gelaufen ist, angesichts der Deals, die wir hinsichtlich des Verkaufs von dem Zeug machen konnten, und vor allem dank Claude ...«
Claude lächelt schüchtern.
»... also finanziell sieht es aus, als wären wir in einer erheblich besseren Lage, als ich ursprünglich dachte. Also, alle Mann, gut gemacht!«
Mit Pfiffen und Juchu und dem Klirren von Biergläsern wird das Essen begrüßt - »Wer Wollte das scharfe Hühnchen? « –, und alle machen sich über die dampfenden Ofenkartoffeln, die knackig glänzenden Berge von Krautsalat und Bohnen her. Alle reden durcheinander, froh und glücklich, während sie die Teller herumreichen.
Jesus führt eine Gabel voll mit saftig grünen Kohlblättern zum Mund, verharrt auf halbem Weg und sieht sich am Tisch um: Der HIV-Infizierte lacht gemeinsam mit dem bettelarmen Bauernjungen, den Lesben und dem kaputten Vietnam-Veteranen, die alten Trinker haben sich für den Abend schick gemacht, die alleinerziehende Mutter - Ex-Nutte und Ex-Junkie - reicht die Teller an ihre Kinder, den Ex-Fettsack und den schwarzen Drummer weiter. Mittelloser Abschaum, von der Gesellschaft verhöhnt, erniedrigt, ausgegrenzt und vergessen. Abgesehen von seinem naiven, springsteenesquen Glauben an die Kraft und Bedeutung des Rock’n’Roll ist Jesus kein sentimentaler Mann, doch in diesem Augenblick, als er von einem Gesicht zum nächsten blickt, wie in einer tränenrührigen Fernsehproduktion, scheint
das Licht weicher zu werden, der Film läuft langsamer, untermalt vom sanften Klimpern eines Klaviers. Das - jetzt und hier — sind seine Leute.
Den Hoffnungslosen Hoffnung schenken.
Während ihm dieser Gedanke ein Lächeln entlockt, blickt er sich im Restaurant um und entdeckt ein Pärchen in den besten Jahren. Der Mann hat schon ein paarmal zu ihnen herübergesehen, doch sein Kopf neigt sich immer wieder dem Teller zu. Er kann anscheinend nicht den Mund halten, immerzu brummelt er irgendwas, schüttelt den Kopf, während er sein Steak schneidet. Zwei Tische neben dem Pärchen sitzen vier junge Männer, von denen einer seinem Kumpel etwas zuflüstert. Der Kumpel grinst, als er herübersieht, und Jesus folgt seinem Blick zu Julia, die Amanda zärtlich etwas aus dem Gesicht wischt - die beiden Frauen mit ihren dicken Stiefeln, den Arbeitshosen und den kurzen Haaren. Dieser Blick hatte bei solchen Jungs mit Vokuhilas, Metal-Shirts und Jeanskutten immer dasselbe zu bedeuten. All das schießt Jesus, der entmutigt begreift, was der Junge seinem Kumpel wahrscheinlich gerade gesagt hat, binnen weniger Sekunden durch den Kopf, unmittelbar nach »Den Hoffnungslosen Hoffnung schenken«. Eine Erkenntnis, die einen weiteren Gedankengang auslöst, weiter hinten in seinem Gehirn. Ein dunklerer Gedanke, der den ersten verfolgt und ihn überschattet: Es wird zu Ende gehen. In Frieden, Liebe und Harmonie mit Freunden leben? Ein wenig arbeiten, Gras rauchen, Bier trinken, rumhängen und glücklich sein? Das kann einfach nicht gutgehen, oder?
Eine piepsige Stimme lässt ihn aus seinen finsteren Visionen aufschrecken. Eine kleine Faust schlägt auf seinen Oberschenkel. »Autsch! Miles, was ist los, Kleiner?«
»Ich sagte: Wir wissen was, was du nicht weißt!«
»Ach, wirklich?«
»Jawohl«, sagt Danny und beugt sich über seinen Bruder hinweg. »Tun wir!«
»Bald hast du Geburtstag ...«, flüstert der kleine Miles und grinst über beide Backen.
»Miles!«, warnt Becky vom anderen Ende des Tisches, denn sie hat ihre Mutterohren überall.
Jesus lacht und sieht zu Becky hinüber. »Bloß keine Überraschungen. Okay, Becks?«, sagt er. Keine Überraschungen. Er meinte es ernst. Am 25. Dezember würde er dreiunddreißig werden. Dreiunddreißig war ihm beim letzten Mal nicht gut bekommen.
Danny und Miles kichern sich inzwischen einen ab. »Ach, das findet ihr komisch, ja?«, sagt Jesus, greift sich Miles’ Oberschenkel und drückt ihm den Daumen in den Muskel. Der Kleine lacht hysterisch, quiekt vor Freude und versucht »Nein! Nein!« zu sagen. Das reine, unverfälschte Lachen der Kinder, spontan wie ein Niesen: die wahre
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