Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
»heiliger Glaube«. Aber nach Democracy, Kansas, gibt niemand mehr etwas auf irgendwelche Namen.
Anfang September ist so ziemlich die beste Zeit des Jahres, um nach Santa Fe zu reisen: Es ist kühler als während der Wüstenhitze im August, und die Espen auf den Hängen der Berge von Santo de Cristo färben sich leuchtend gelb.
Gemeinsam essen sie in einer schrillen mexikanischen Cantina zu Abend, Claudes Abschiedsmahl, und die Stimmung ist auf dem Höhepunkt, denn sie sind nur noch achthundert Meilen von L. A. entfernt, wie Kris zu berichten weiß. Was selbst mit einem Tag Pause ein Kinderspiel ist. Claude leiht sich immer wieder Kris’ Handy aus, um zu checken, ob sein Cousin schon zu Hause ist, erreicht aber niemanden. Der Laden ist günstig, die Fisch-Tacos sind gut, und Jesus und Morgan lehnen zufrieden an der Bar, wo sie sich eine weitere Runde Bier und Tequilas gönnen.
Die beiden lassen ihre kleinen Schnapsgläser aneinanderklirren und kippen den brennenden Alkohol runter. »Ex und weg!«, ächzt Morgan und greift nach einer Zitrone.
»Sieh sie dir an«, sagt Jesus liebevoll, und sein tequilavernebelter Blick schweift durch den Raum, dorthin, wo ihr Reisegrüppchen sich unter einem großen, dekorativen Kaktus versammelt hat: Big Bob, der seine Baumwolljacke übers Gesicht zieht, bis nur noch die Augen herausschauen, und den vor Vergnügen laut aufquiekenden Miles und dessen Bruder Danny grimassenschneidend um den Tisch scheucht. Pete unterhält sich angeregt mit Kris und Becky. Claude ist schon wieder auf dem Weg nach draußen und tippt auf Kris’ Handy herum. »Das war schon ein Ritt, was?«, sagt Jesus.
»Allerdings.«
»Hör mal, Morgs. Ist dir an Claude irgendwas aufgefallen? «
»Als da wäre?«
»Der Junge wirkt ziemlich geistesabwesend, als ob ...«
»Na ja, vielleicht ist er nervös, neue Stadt und so, du weißt schon: seinen Cousin treffen, sich Arbeit suchen und all der Kram. Scheiße«, sagt Morgan, »er ist noch ein halbes Kind. Außerdem war er noch nie sonderlich gesprä...«
»Pssst, aufgepasst«, flüstert JC ihm zu, als Claude sich nähert. »Nein, ich glaube, in Fis-Dur klingt das besser«, konstatiert er in normaler Lautstärke.
»Ähm, das war mein Cousin. Er ist jetzt wieder zu Hause.«
»Klasse«, sagt Morgan.
»Hör zu«, JC beugt sich zu Claude hinüber, »ich fühl mich nicht wohl dabei, Claude. Dass du bei deiner Familie aufkreuzt und so mir nichts, dir nichts nach Geld fragst, nur damit du es dann uns zusteckst? Ich schätze, wir könnten mit dem, was wir noch haben, mindestens bis Phoenix kommen und dann ...«
»Ist echt kein Problem«, unterbricht ihn Claude. »Ihr seid so nett zu mir gewesen. Ich bin vermutlich ungefähr ’ne Stunde weg.«
»Wenn du wirklich meinst, Mann.«
Er nickt.
»Dann bis nachher, Kleiner«, sagt Morgan.
Claude studiert die zahlreichen Klingelschilder neben der großen, schweren Haustür. Das alte Lehmziegelgebäude im spanischen Stil hatte man über die Jahre wieder und wieder unterteilt, so dass die Apartments sich vermehrten wie die Zellen eines lebenden, wachsenden Organismus. Es kostet Claude einige Zeit, bis er den Namen gefunden hat, nach dem er sucht. Er ist handgeschrieben, unter einem vergilbten Stück Tesafilm kaum zu lesen. Und doch erkennt er die Handschrift sofort wieder, obwohl er sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Apartment 215. Er zieht sich in den Schatten neben der Tür des Apartmentkomplexes zurück und wartet, fünf Minuten, zehn, bis er sieht, wie die Tür sich öffnet. Dann eilt er möglichst zielstrebig vorbei an der Hispano-Frau, die ihm entgegenkommt, die Eingangsstufen hinauf. Das Gebäude macht nicht den Eindruck, als würden einem die Leute hier viele Frage stellen, und tatsächlich: Die Frau lässt die Tür hinter sich offen und verschafft ihm so die Möglichkeit einzutreten.
Er eilt die Treppen hoch bis in die erste Etage, links von ihm liegt Apartment 209, dort greift er in seinen bereits offenen Rucksack, passiert 211, seine Hand schließt sich um den geriffelten Holzgriff, Apartment 213, mit dem Daumen löst er die Sicherung, vor 215 steckt seine Hand noch immer tief in der Tasche, er atmet flach, schluckt, klopft rasch an die Tür, um sich bloß keine Gelegenheit zu geben, alles noch einmal zu überdenken. Einen zäh verstreichenden Moment später hört er den Klang von zerspringendem Glas - eine umgeworfene Flasche –, dann wird plötzlich die Tür aufgerissen, und vor ihm steht ein
Weitere Kostenlose Bücher