Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Mann mittleren Alters, nahezu kahlköpfig, sein dicker Bauch quillt aus seinem schmuddeligen Feinripp-Achselhemd und hängt über den Bund seiner fleckigen grauen Jogginghose. Das Gesicht des Mannes ist
unrasiert, seine Augen sind gerötet. Er ist betrunken, ganz so, wie Claude es sich erhofft hatte.
»Was’n?«, brummt der Mann mit starkem Kentucky-Akzent, mürrisch, gereizt, exakt wie in Claudes Erinnerung. »Scheiße, was willst du, du klei...«, hebt der Mann an und starrt misstrauisch an Claude vorbei in den Korridor - ein Anflug von Sorge, dass irgendetwas nicht stimmt, dass Claude, wer immer er sein mag, nicht alleine ist. Aber er kommt nicht dazu, den Satz zu beenden: Claude reißt die Pistole aus seinem Rucksack und schlägt ihm damit hart ins Gesicht. Mit gebrochener Nase geht der Mann - während ihm das Blut aus den Nasenlöchern spritzt - zu Boden. Claude schlüpft in das Apartment und schließt die Tür hinter sich.
»Lange her, was?«, fragt er, die Pistole auf die massige, blutende Gestalt auf dem Teppich gerichtet.
16
W AS ZUR HÖLLE ...«, SCHNAUBT DER MANN UND HÄLT sich die Nase. Blut tropft auf sein Unterhemd, als er versucht, wieder auf die Beine zu kommen — ein Vorhaben, das er erst einmal revidiert, als er ein kaltes metallisches Geräusch hört: Claude, der den Schlitten der großen, alten Pistole zurückzieht.
Die beiden Männer beäugen einander - zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahren: Der eine starrt schnaufend und rasend vor Wut durch einen Vorhang aus Schmerz und Tränen zum anderen auf. Claude seinerseits zittert, jetzt wo ihm die Ungeheuerlichkeit dieses Moments dämmert, von dem er so lange geträumt hat und der nun endlich da ist.
»Das ist für Mama«, sagt er, als er ihn mit der Waffe anvisiert und den Abzug spannt.
Die Augen des Mannes weiten sich.
Dann wird die Tür aufgerissen, und Jesus ruft: »Hey Kumpel, gibt’s Probleme?«
Fassungslose Stille. Claudes Blick schweift kurz zu Jesus hinüber, während er die Waffe weiter auf den Mann am Boden gerichtet hält. »Das hier geht Sie nichts an, Mister«, sagt Claude zu Jesus.
»Schon klar, ich hab dich verstanden.« JC zieht die Tür sacht hinter sich zu und begibt sich in die Mitte des Raums,
wo er sich umsieht. »Entschuldige, dass ich dir gefolgt bin, ich hatte nur so ein Gefühl, weißt du ...«
»Du kannst bleiben, wenn du zusehen willst, wie er stirbt«, sagt Claude, nun wieder voll und ganz auf die blutige Sauerei am Boden konzentriert.
»Ähm, na guuuut. Würde es dich stören, wenn ich dich frage, warum du deinen Cousin umbringen willst, Claude?«
»Ist kein Cousin«, sagt Claude.
»Claude?«, näselt der Mann, wobei eine blutige Blase unter seiner Nase wächst und dann platzt.
»Ist mein Daddy.«
Es bleibt still, während ihnen dämmert, was sie da eben gehört haben. Der Mann stöhnt.
»Ist das so?«, fragt Jesus, der sich Claude bis auf Armeslänge genähert hat.
»Versuch mir die Pistole wegzunehmen, und du stirbst ebenfalls«, droht Claude.
»Schon gut, ich glaub dir ja«, sagt Jesus.
»Hör zu, mein Sohn«, hebt Claudes Vater an.
»Du hältst dein dreckiges Maul, du Stück Scheiße!«, rastet Claude aus, die Waffe direkt auf das Gesicht des Mannes gerichtet, den zitternden Finger am Abzug.
»Claude«, sagt Jesus ruhig. »Ich frage mich ja bloß, was du tun wirst, nachdem du ihn umgebracht hast?«
»Hä? Mich selbst umbringen!« Claude sagt das, als wäre Jesus ein Vollidiot, weil er nicht von selbst darauf gekommen ist.
»Klar, klar«, sagt Jesus beschwichtigend. »Aber warum solltest du das denn bitte tun? Denk doch mal an deine Mom. An die Farm.«
»Gibt keine Mom. Gibt keine Farm. Wegen diesem Wichser hier.« Beim letzten Satz wendet er sich an seinen Vater.
»Was ist mit deiner Mom passiert, Claude?«, fragt Jesus behutsam.
»Ist letzten Monat gestorben. Hat sich zu Tode gesoffen, nachdem er uns verlassen hat. Hat fünf Jahre gebraucht ... mit dem ganzen Vicodin und dem Whiskey. Ich hab versucht, sie davon abzuhalten, aber sie ... und dann ist der Mais verdorben. Die Bank hat uns die Hypothek aufgekündigt. Sie ist einfach, ich ...« Der Junge verliert nun völlig die Fassung, kämpft gegen die Tränen an, versucht seine hilflose Wut unter Kontrolle zu halten. »Ich hab es allein nicht geschafft, wir konnten uns keine Hilfskraft leisten. Diese Drecksau hat uns nie auch nur einen Cent geschickt. Es ... es ist alles weg. Hörst du mich, du mieser Wichser?« Sein Finger krümmt sich
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