Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
sagt er gerade. »Ich versuche einfach, na ja, den Menschen im Kleinen zu helfen. Mit meinen Kumpels Kris und Morgan. Alle scheinen zu denken, dass Dad - Gott - so ein zorniger, rachsüchtiger Typ ist, der sie vernichtet, wenn sie Ihn nicht rund um die Uhr anbeten. Aber das stimmt überhaupt nicht. Ich meine, Ihm brennt leicht mal ’ne Sicherung durch, aber ...«
Stelfox drückt auf PAUSE: Jesus’ Gesicht füllt den ganzen 60-Zoll-Plasmabildschirm aus. Ein hübscher Kerl, keine Frage. Und ’ne gute Stimme auch, wobei Stelfox auf die schrammelige E-Gitarre ohne weiteres verzichten könnte. Entscheidend allerdings ist: Er scheint absolut zu glauben, was er da erzählt. Also ist er offensichtlich geisteskrank. Könnte definitiv der Freak-Quote helfen und ein paar Wochen lang Zuschauer ziehen. Stelfox war zu der Überzeugung gelangt, dass der ideale Kandidat ein gut aussehender, durchgeknallter Freak mit der ultimativen Leidensgeschichte war, der noch dazu ein bisschen Talent besaß. Aber so kam es nie. Normalerweise hatte es seinen Grund, weshalb jemand durchgeknallt war. Die Leidensgeschichte hatte in der Regel ihren Preis.
Auf seinem langen Weg zur Küche betrachtet er die Wände voll mit moderner Kunst: ein Warhol, ein Damien Hirst, ein Banksy. Letzterer war nur ein vandalierender Schmierfink, wenn man Stelfox fragte. Und ein beschissener Linker dazu.
Aber die Preise gingen rauf, und sein Händler hatte ihm versichert: »Das ist eine gute Investition.«
In der Küche, inmitten großzügiger Flächen aus italienischem Marmor und altem, aufgearbeitetem Holz, das nach Aussage des Dekorateurs - einer grausam tuntigen, aber wahnsinnig angesagten Frisco-Schwuchtel - einer Quäkerkirche aus dem 19. Jahrhundert irgendwo in Massachusetts entstammte, braucht er eine gute Minute, bis er den richtigen Kühlschrank gefunden hat: Der Boy hat heute frei. Er nimmt eine Flasche eiskalten Grey Goose heraus, gießt den Wodka, der so kurz vor dem Gefrieren dick und sämig ist, über das Eis und fügt einen Streifen Limettenschale hinzu, den das Hausmädchen schon vorgeschnitten hat.
Das gute Leben. Das war es doch.
Das Resultat etlicher Jahre voller ... nun, nicht gerade Schweiß und Tränen. Vor allem Blut. Messer in Brust und Rücken. Gerüchte schüren und verbreiten. Desinformation und Heuchelei und Coverversionen und darauf achten, dass man verdammt nochmal auch den Text verstehen kann. Er, der nun endlich kurz davorsteht, Milliardär zu werden, nippt an seinem Drink und blickt auf den glitzernden Pazifik hinaus. Das werde ich ihnen allen heimzahlen, hatte er sich einmal geschworen und es auch so gemeint. Und jetzt bezahlten sie alle. Die ganze beschissene Welt bezahlte. Für Balladen. Wenn er drüben in London war, traf er hin und wieder einige Gestalten von damals. Im Groucho, bei Mark Hix oder im Nobu. Derek krallte sich verzweifelt an den Geschäftsführerposten irgendeines schmuddeligen, kleinen Indie-Backkatalog-Labels. Kriegte Schweißausbrüche, wenn er anlässlich der Wiederauflage eines Livealbums von Stiff Little Fingers mal fünfzehn Pence in Marketing investieren sollte. Dunn war mit seinen - wie viel? - fünfzig Jahren immer noch nicht mehr als ein Radiopromoter. Saß immer noch bei der EMI, lachte immer noch über dieselben blöden Witze von irgendwelchen Radio-DJs, während er sie belaberte, irgendeine erbärmliche
Popsingle zu spielen. Und die Sache war doch die: Heute kaufte sowieso keiner mehr Platten. Wozu die Stühle auf dem Deck der Titanic sortieren? Scheiß drauf - die Penner versuchten, Champagner in Bergen-Belsen und Trüffel in Auschwitz zu verkaufen. Keiner interessierte sich dafür. Keiner hatte Geld, und außerdem konnten sie alles per Mausklick umsonst bekommen. Wie gut er sich an den Beginn der Download-Diskussionen vor zehn Jahren erinnerte: »Die Leute werden immer das ganze Album haben wollen ... man will das Artwork und die Verpackung.« Ja genau, Alter. Dann wachst du fünf Jahre später auf und stellst fest, dass du in einer Horrorversion von Matrix mitspielst: mit einem Stecker im Nacken, und überall auf der Welt kommunizieren die Maschinen miteinander und geben deine ganze harte Arbeit kostenlos weiter. Und zwar an alle! Schlag irgendwem unter siebzehn vor, dass er für Musik bezahlen soll, und er guckt dich an, als hättest du ein Rad ab. Und zu Recht , denkt Stelfox. Der Markt hat gemacht, was er wollte. Kommt jetzt bloß nicht an und heult mir einen vor. Die ganzen Witzfiguren,
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