Gott geweiht
sterben.
KAPITEL 14
Es war dunkel, als Lee die Treppe zu seiner Wohnung im zweiten Stock hochstieg. Kaum hatte er seine Schlüssel auf den Tisch neben der Wohnungstür gelegt, klingelte das Telefon. Er war mit zwei Schritten da und nahm den Hörer ab.
»Hallo?«
»He, Chef, ich bin’s.«
Die Stimme war unverkennbar, hoch und piepsig, mit einem starken Akzent aus der Bronx. Es war Eddie Pepitone – Kleingauner, Vietnamveteran, professioneller Spieler, Gelegenheitsbetrüger – und sehr wahrscheinlich der Mensch, dem Lee sein Leben verdankte.
»Hallo, Eddie. Was gibt’s?«
»Was es gibt? Was es gibt ?« Eddie klang gespielt verärgert. »Sag du es mir, Chef – du hast schließlich das tote Mädel am Hals und nicht ich.«
»Woher weißt du –?«
»In meinen Kreisen verbreiten sich Neuigkeiten schnell, mein Freund. Ich halte meine Ohren offen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Aber woher weißt du, dass ich –?«
»Dass du an dem Fall dran bist? Oh, das hab ich mir halt gedacht – ich hab da zwei und zwei zusammengezählt, verstehst du? Schien mir genau dein Kaliber zu sein.«
»Okay, aber –«
Eddie schnitt ihm das Wort ab. »Hör zu, ich hab jetzt nicht viel Zeit. Was hältst du davon, wenn wir uns in einer halben Stunde im McHale’s treffen?«
»Also, ich –«
»Komm schon, du hast doch im Moment nichts Besseres zu tun. Hab ich recht?«
Lee musste zugeben, dass Eddie recht hatte. Wenigstens würde er ihn von seiner Enttäuschung darüber ablenken, dass er die Akte der unbekannten Toten nicht bekommen hatte.
»Einverstanden, in einer halben Stunde.«
»Okay, ich seh dich dann – und die Drinks gehen auf mich.«
Es klickte, und die Leitung war tot. Es klang, als hätte Eddie von einem Münztelefon aus angerufen. Lee hoffte, dass er nicht wieder auf der Straße lebte. Seit er das Glücksspiel aufgegeben hatte, fiel es Eddie schwer, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Auf den ersten Blick konnte man sich kaum vorstellen, dass Eddie und ihn eine tiefe Freundschaft verband. Doch es verging kein Tag, an dem Lee nicht seinen Sternen dankte, dass während seines Aufenthalts in der Psychiatrie des St.-Vincent’s-Hospitals Eddie Pepitone sein Zimmergenosse gewesen war.
Es war eine kurze U -Bahnfahrt zum McHale’s, einer gastronomischen Rückbesinnung auf die alten Tage von Hell’s Kitchen, bevor man das Viertel in Clinton umbenannt hatte. Eddie Pepitone liebte diese Kneipe.
Lee war als Erster da und suchte eine Sitznische nahe der Eingangstür aus. Er wusste, dass Eddie in der Kneipe gern rauchte, und obwohl Lee den Geruch nicht mochte, wollte er seinem Freund den Spaß nicht verderben.
Lee saß noch keine Minute, als die Eingangstür aufging und Eddie hereinkam.
Er sah aus, als hätte er einen schlimmen Kater. Sein schmutzig blondes Haar – oder was davon noch übrig war – war zerzaust, er hatte einen stoppeligen Zweitagebart, und seine Fingernägel sahen aus, als würde man sie nur noch mit einem Sandstrahler sauber bekommen. Und doch strahlte er Optimismus aus. Er hatte die wachen, rastlosen Augen eines Trickbetrügers, und seine schlampige Erscheinung täuschte – Eddie war einer der scharfsichtigsten und verständigsten Menschen, denen Lee je begegnet war. Er wusste nicht, womit Eddie jetzt sein Geld verdiente, seit er das Glücksspiel aufgegeben hatte, und er war sich nicht sicher, ob er es wissen wollte. Doch er würde nie vergessen, was ihm Eddies Beistand in jenem Krankenhauszimmer vor einigen Monaten bedeutet hatte. Sie hatten die ganze Nacht zusammengesessen und geredet und geredet, während sie Tasse um Tasse schwarzen Kaffees tranken, bis die Krankenschwestern der Nachtschicht an die Tagschicht übergaben und die graue Morgendämmerung an den ausgeblichenen gelben Krankenhauswänden hinaufkroch.
Eddie Pepitone setzte sich in die Nische und stützte seine Ellbogen auf den Tisch. »Na, wie geht’s, wie steht’s, Chef?«
In jenen dunklen Tagen im letzten Herbst hatte Eddie Lee den Spitznamen »Chef« verpasst. Lee hatte ihn nie nach dem Grund dafür gefragt – damals war es schon eine Leistung für ihn gewesen, nur den Tag durchzustehen. Eddie schien der Spitzname zu gefallen, und Lee störte er nicht.
Eddie beugte sich vor. Sein Atem stank nach billigen Zigaretten und Zahnfleischentzündung.
»Was grübelst du so? Setzt dir der Fall zu?«
»Woher wusstest du, dass ich an einem Fall arbeite?«
»Ach, komm schon, Chef – ich lese doch Zeitung«, sagte Eddie und
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