Gott geweiht
dem Rücksitz wachte Kylie auf.
»Onkel Lee? Sind wir schon da?«
Er holte tief Luft und zwang sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen.
»Nein, Häschen – schlaf wieder ein.«
Noch ein Knall. Lees Wagen wurde auf die Gegenfahrbahn geschleudert, und er hatte Mühe, ihn wieder unter Gewalt zu bringen.
Kylie klang jetzt panisch. »Was ist denn los, Onkel Lee?«
Er wusste nicht, was er ihr darauf antworten sollte, wie er ihr hätte erklären können, dass jemand gerade versuchte, sie beide umzubringen.
»Schlaf weiter, okay? Es ist gar nichts los.«
Lee bereitete sich innerlich darauf vor, noch einmal gerammt zu werden, doch stattdessen tauchte das andere Auto auf gleicher Höhe neben ihnen auf. In der Mitte der kurvenreichen Landstraße befand sich eine dicke durchgezogene Linie. Hier war Überholen absolut verboten. Selbst jetzt, mitten in der Nacht, war das, was der unbekannte Fahrer da machte, ein Selbstmordkommando. Er würde ein entgegenkommendes Fahrzeug unmöglich sehen können, bevor es zu spät war.
»Herrgott«, flüsterte Lee. Mit zitterndem Bein trat er das Gaspedal weiter durch. Der kleine Honda machte einen Satz nach vorn und zog an dem anderen Wagen vorbei.
»Onkel Lee«, jammerte Kylie. »Was ist denn nur los?«
»Irgendein verrückter Autofahrer folgt uns«, antwortete Lee so beiläufig wie möglich. »Vielleicht ist er betrunken.«
Seitdem er mit sechzehn seinen Führerschein gemacht hatte, war er diese Strecke unzählige Male gefahren und hatte oft gewitzelt, dass er das schon im Schlaf könnte. Im Moment war das sein einziger Vorteil gegenüber seinem Verfolger. Vor ihnen in der Dunkelheit ragte schemenhaft McGill’s Hill auf. Lee griff das Lenkrad fester und beugte sich vor.
»Okay, du Dreckskerl«, murmelte er. »Mal sehen, wie dir das gefällt.«
Er riss das Steuer herum und fuhr von der Straße hinunter auf den kleinen Fluss am Fuß des Hügels zu. Das Auto ratterte und rumpelte über den unebenen Boden und schlitterte auf dem Schnee. Er hörte Kylie auf dem Rücksitz wimmern, aber er biss die Zähne zusammen und fuhr weiter, ohne die Geschwindigkeit zu drosseln. Aus Erfahrung wusste er, dass der Fluss flach genug war, um nun fest zugefroren zu sein, und hielt genau darauf zu.
Die Reifen rutschten übers Eis – das Auto brach hinten aus, kam dann jedoch wieder ins Lot. Der Sedan verfolgte sie noch immer und geriet ebenfalls ins Schleudern, als er den Fluss erreichte.
Im Scheinwerfer von Lees Wagen tauchte ein kleines Wäldchen am Fuß des Hügels auf – die Pappeln waren seit Generationen der Schrecken aller Schlittenfahrer. Dort war der Fluss am tiefsten, und auf der anderen Seite des Wäldchens befand sich ein tiefer Graben – der nachts so gut wie unsichtbar war. Lee trat aufs Gas, riss das Steuer ganz nach rechts und schaffte es gerade noch, dem ersten Baum auszuweichen. Die Räder drehten auf der dünnen Schneedecke kurz durch, dennoch gelang es Lee, den Wagen scharf zu wenden und dadurch den Sturz in den Graben zu vermeiden.
Sein Verfolger hatte weniger Glück.
Lee hörte, wie der Sedan hinter ihm die Bäume streifte, und blickte gerade noch rechtzeitig in den Rückspiegel, um ihn kopfüber im Graben landen zu sehen.
Sosehr Lee auch wissen wollte, wer ihn da verfolgt hatte, der Instinkt, seine Nichte in Sicherheit zu bringen, war stärker. Wenn der Unbekannte den Sicherheitsgurt angelegt hatte, war er möglicherweise nur leicht verletzt. Lee hätte gern einen Blick auf das Nummernschild geworfen, aber was, wenn der Fahrer eine Waffe bei sich trug? Das Risiko durfte er nicht eingehen. Also fuhr er zurück in Richtung Straße.
Hinten auf dem Rücksitz war Kylie ganz still geworden. Nach ein, zwei Meilen Fahrt drehte er sich zu ihr um. Sie starrte ihn schweigend an und hielt den Stoffdinosaurier fest umklammert, den er ihr in New York gekauft hatte.
»Alles in Ordnung, Kylie?«
»Was ist mit dem anderen Auto?«, fragte sie. »Das ist doch gegen einen Baum gefahren. Ist dem Fahrer gar nichts passiert?«
»Das weiß ich nicht, Häschen, aber ich rufe so schnell wie möglich die Polizei an, damit sie ihm zu Hilfe kommen.«
»Warum bist du von der Straße runter, Onkel Lee?«
Weil der Typ uns umbringen wollte .
»Ich wollte einfach nicht, dass er uns weiter folgt.«
»Warum ist er uns denn gefolgt?«
»Der muss wohl betrunken gewesen sein.«
Kylie begann zu weinen. »Und wenn er nun tot ist?«
»Mach dir keine Gedanken, Kylie – es ist bestimmt nichts
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