Gott ist tot
schleifend wie tiefhängende Wolken, und auf dem Boden wurden die Leichen von Ben und Manny sichtbar. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie es waren, hätte ich sie nicht erkannt.
Wir standen alle herum, Bier in der Hand, und der Rauch schwänzelte in kleinen Fähnchen von uns weg. Alle schienen im Schock, außer Rick, dessen Gesicht, als die Wolke sich verzog, dieselbe grimmige Gefasstheit zeigte wie zuvor. Chad, der rechts hinter Manny gestanden hatte, sah aus, als hätte sein Shipyard-Brewing-Company-T-Shirt für ein Splatter-Bild von Jackson Pollock herhalten müssen. Ich hatte im vorigen Semester »Die zeitgenössische Kunst im Überblick« belegt, und wir hatten viel Zeit auf den abstrakten Expressionismus verwendet, deshalb konnte ich mir bestens die Unterschrift vorstellen, die in unserem Kunstbuch unter diesem speziellen Werk gestanden hätte: Pollock, Jackson. Suizid. Hirn auf Baumwolle, 2005.
Alles war voller Blut. Blut an Ricks Wänden, Blut an Ricks Bücherregalen, an dem großen gerahmten Familienfoto noch aus unserer Schulzeit. Blut floss in trägen roten Streifen über den Bildschirm des Plasmafernsehers, der, seit es keinen Strom mehr gab, stumm und nutzlos in der Gegend stand.
Blutspritzer tüpfelten die Keramikfiguren, die Ricks Mutter gesammelt hatte. Und Blut bedeckte den Boden, ein See aus Blut, das an den Rändern schon stockte wie ein Pudding, den man nicht abdeckt.
Rick watete in die Sauerei und hob die Pistolen auf. »Hol einen Putzlumpen«, befahl er mir.
Verluste hatten wir alle hinter uns. Meine Mutter war tot, im Schlaf gestorben, nachdem keine Nachfülllieferungen für ihre Insulinpumpe mehr mit der Post kamen. Mannys Vater hatte einen Schlaganfall erlitten, als die Dinge gerade ernsthaft aus dem Ruder zu laufen begannen; die Krankenwagen fuhren nicht mehr, und er starb zuckend und strampelnd auf dem Badezimmerboden ihres Bungalows; Mannys Mutter hatte sich daraufhin mit seiner kleinen Schwester nach Florida aufgemacht, wo die Zustände angeblich nicht ganz so verheerend waren. Die Familien von Chad, Allen und Ben waren alle bei Verkehrsunfällen umgekommen, die an der Tagesordnung waren, seitdem überall die Ampeln ausfielen und die Straßen sich mit Autowracks zu füllen begannen. Wesleys Vater und Stiefmutter waren zum Golfen nach Tuscon geflogen und nie zurückgekommen. Leos Eltern fielen einer Explosion in der Shell-Tankstelle zum Opfer, wo sie Dosensuppen und Milkyways zu erbeuten gehofft hatten. Das Feuer wütete eine Woche lang und arbeitete sich bis zu den Einfamilienhäuschen von Cherry Hill vor, wo die Familie von Cole, Jacks Mutter und Jacks beide Zwillingsschwestern verbrannten. Und Ricks Eltern wurden vor seinen Augen erschossen, von einem Nachbarn, der mit einem Heber das Benzin aus ihrem Audi absaugen wollte. Rick erledigte den Mann, einen Professor der Volkswirtschaft, der an Football-Sonntagen gern auf ein paar Wodka-Martinis bei ihnen vorbeigeschaut
hatte, durch einen Schlag mit dem Rechen auf den Hinterkopf.
Einer nach dem anderen waren wir nach unseren jeweiligen Tragödien bei Rick aufgekreuzt. Manny und ich zogen ein, als seine Eltern noch lebten; wir waren gerade in der Garage und suchten nach etwas, um damit ein zerbrochenes Fenster im ersten Stock abzukleben, als der Nachbar sie wegen einem Vierteltank Super bleifrei erschoss.
Ich frage mich oft, wie es weitergegangen wäre, wenn wir draußen in der Einfahrt gestanden und den Kerl hätten kommen sehen. Wenn Manny sich ihm in die Kniekehlen geschmissen hätte wie früher in seiner Glanzzeit im Footballteam. Wenn ich ihm die Schusshand mit dem Original-Reggie-Jackson-Louisville-Schläger zerschmettert hätte, der in der Garage an der Werkbank lehnte. Denn dann hätten Ricks Eltern vielleicht überlebt, und wir wären nicht allein gewesen mit der Entscheidung, wie es mit uns weitergehen sollte. Schließlich waren wir im Grunde noch Kinder.
Am Morgen darauf kamen Leo und Cole gemeinsam an, noch am Nachmittag gefolgt von Jack, und alle zusammen gruben wir zwei Löcher hinten im Garten, neben den Tomaten, die Ricks Vater angebaut hatte. Keiner weiß wirklich, was unbehagliches Schweigen bedeutet, ehe er nicht neben zwei Haufen frisch aufgeworfener Erde gestanden und nach Worten gerungen hat. Ich war drauf und dran, ein Gebet vorzuschlagen, und hätte mich gleich darauf ohrfeigen können für meine Blödheit. Letztlich war es egal, Rick war eh gleich ins Haus zurückgegangen.
Den Leichnam des Nachbarn
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