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Gott oder Zufall?

Gott oder Zufall?

Titel: Gott oder Zufall? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Berry
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frühen (präimplantierten) menschlichen Embryos
    Aristoteles betrachtete den Embryo in den frühesten Stadien als so etwas wie eine Pflanze – mit ähnlichen Bedürfnissen und ähnlicher Ernährung. Dann entwickle er sich zu einem Tier, das wie andere Tiere empfinde und reagiere. Erst danach werde er zu einem Geschöpf mit voll ausgebildeten menschlichen Merkmalen. Nach diesem Verständnis war die Form des Embryos die Projektion innerer beseelender Prinzipien (griechisch:
psyche,
lateinisch:
anima,
deutsch:
Seele
). Die Pflanze belebte eine vegetative, das Tier eine animalische und den Menschen eine rationale Seele. Übernommen wurde diese Deutung von den frühen Kirchenvätern. Sie passte offenbar zu Exodus 21,22–23, dem einzigen biblischen Hinweis auf Fehlgeburten. Diese Verse sprechen dem ungeborenen Leben klar einen Wert zu, aber was daraus folgt, bleibt eher im Dunklen: In der Übersetzung der Septuaginta heißt es, wenn der getötete Embryo »geformt« sei, müsse Leben für Leben gegeben werden. Hieronymus wie Augustinus erklärten, dass eine Tat, die zu einer Fehlgeburt führt, bei einem »ungeformten« Fötus kein Totschlag sei, »da noch nicht gesagt werden kann, dass einem Leib, dem Empfindungen fehlen, eine lebende Seele innewohnt, wenn er noch nicht in Fleisch gebildet und mit Sinnen ausgestattet ist« (Augustinus zu Ex 21,22). In der Frage, an welchem Punkt die Seele in den Körper eintrete, vertraten Hieronymus und Augustinus einen agnostischen Standpunkt und ließen offen, ob dies zu dem Zeitpunkt geschehe, da der Embryo »ungeformt« sei. Die Bibel enthält viele Hinweise auf ein »Leben« vor der Geburt, aber keinen darauf, wann dieses »Leben« beginne. Die Psalmen beschwören oft Gottes Fürsorge und seinen Schutz im Schoß (insbesondere Ps 139,13–16). Jesaja und Jeremia wurden schon vor ihrer Geburt berufen (Jes 49,1; Jer 1,5), Jesaja sogar schon vor der Zeit, da ihn der Herr »im Mutterleib formte«. Deutlich früher noch, schon »vor der Erschaffung der Welt« (Eph 1,4), fand unsere Auserwählung als Christen statt. Vor der päpstlichen Bulle von 1869 genoss der Embryo nach kanonischem wie weltlichem Recht vollen Schutz erst nach seiner »Beseelung«, die einige Zeit nach der Befruchtung erfolgte. In der Praxis galt dies als die Zeit, wenn die werdende Mutter erste Bewegungen des Fötus spürt.
     
    Louise Brown kam 1978 als erstes Retortenbaby zur Welt. Die Ei- und die Samenzelle hatten ihre Eltern gespendet.  ©  © Corbis/​Adrian Arbib;
     
    Neue Impulse erhielt diese Debatte mit der Einführung der In-vitro-Fertilisation ( IVF ) ab 1978. Wie müssen wir den ganz frühen menschlichen Embryo sehen? Ist er im ethischen Sinn so zu behandeln wie ein Mensch bei der Geburt? Kann er tatsächlich schon als Person gelten? Falls nicht, ab welchem Entwicklungsstadium wird sein Menschsein dann augenscheinlich? Die Frage »Wann beginnt menschliches Leben?« umreißt das ethische Problem nur unzulänglich, weil der einzellige Embryo (ganz zu schweigen von der Ei- oder der Samenzelle, aus denen er entsteht) eindeutig »menschliches Leben« darstellt.
    Um die Diskussion zu beleben, wandten sich einige an die Wissenschaft. Die pränatale menschliche Entwicklung ist kein stetig ablaufender Prozess. Nach der Befruchtung durchläuft der Embryo Zellteilungen und reorganisiert sich zur Blastozyste, dem Stadium, in dem ES -Zellen gewonnen werden. Damit eine Schwangerschaft entsteht, muss sich dieser Keim in der Wand der Gebärmutter einnisten. Aus einem großen Teil der Zellen in der Blastozyste entsteht die Plazenta. Allein aus dem inneren ES -Zell-Haufen (dem Embryoblasten) entwickelt sich der Fötus. Nur eine Unterpopulation von Zellen durchläuft so die genetisch kontinuierliche Entwicklung von der befruchteten Eizelle zum Fötus. Und nur relativ geringe 30 Prozent der menschlichen Blastozysten nisten sich auch tatsächlich ein. Die Einnistung kann als das entscheidende Stadium in der Entwicklung gelten, insbesondere bei Säugern (Bären, Dachsen, Kängurus), bei denen sie zuweilen erst mehrere Monate nach der Befruchtung erfolgt. Bei Menschen markiert es das Ende einer möglichen Zwillingsbildung, ein Prozess, der eine theologische Debatte anstieß: Wenn das »Leben« mit der Empfängnis beginnt, haben Zwillinge dann nur eine halbe Seele?
    Im Vereinigten Königreich vertrat das Warnock Committee, ein staatlich bestelltes Gremium, eine ethische und praktische Überwachung künstlicher

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