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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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dachte an Selbstmord, nicht im Ernst, aber romantisch. Eines Abends, während sie niedergeschlagen in ihrer Einzimmerwohnung saß, klopfte es an der Tür. Es konnte nur ein Gläubiger sein, sagte sie sich. Beim dritten Klopfen schlich sie auf Zehenspitzen zum Schalter und machte das Licht aus.
    Vergeblich. Es klopfte weiter. Eine saftige Beleidigung auf der Zunge, riß sie die Tür auf. »Lajos!«
    Sie verbarg ihr Gesicht. »Schau mich nicht an. Ich bin alt und häßlich.«
    »Du bist neunundzwanzig und schöner denn je.«
    »Wo hast du gesteckt? Und wie hast du mich gefunden?«
    »Ich wußte immer, wo du warst. Cleveland, Cincinnati, Columbus. Ich wußte sogar, daß deine Ehe nicht von Bestand sein würde. Ich konnte nicht ahnen, daß das Ende so plötzlich, so schrecklich kommen würde, aber ich wußte, irgend etwas würde passieren.«
    »Woher wußtest du?« fragte sie geheimnisvoll, denn sie hatte eine Vorliebe für das Okkulte, vielleicht, weil sie so lange eine Zigeunerin gespielt hatte.
    »Ich wußte es, weil es Gerechtigkeit gibt in dieser Welt«, antwortete er erhaben, »und weil ich wartete.« Ermutigt durch diese Bekundung von Großmut, konnte sie sich ein wenig Verbitterung leisten. »Weißt du, er hinterließ keinen Penny, aber er hatte ein goldenes Herz.«
    »Aber warum, warum hast du ihn geheiratet?« Das war es, worauf Mizzi gewartet hatte, die Frage, die alle ihre frustrierten theatralischen Talente herausforderte. »Weil ich eine Närrin war«, heulte sie los, »eine Närrin. Wie ein Schmetterling war ich von der Flamme angezogen. Ich war eine kleine magyarische Cinderella, verwirrt durch den Glanz der Glaskugel, und ich habe meinen Traum voll ausgelebt!«
    Die nächste Stunde lang konnte Lajos kein einziges Wort einwerfen, so stürmisch war die Flut konventioneller Klischees, die seine Trommelfelle sprengten. Sie posierte, sie versteckte ihr Gesicht, nur um es noch dramatischer wieder vorzuzeigen, sie spielte ihre Version der Kameliendame vor brechend vollen Rängen, sie sang ein paar Takte mit sorgsam gebrochener Stimme, sie warf sich auf einen Diwan, wälzte sich in nonnenhafter Selbstkasteiung am Boden, sprang dann wieder ungestüm auf, um der Welt zu trotzen, und Wimperntusche floß ihr übers Gesicht wie Schatten von Gefängnisgitterstäben. Endlich erreichte sogar ihre Energie eine Grenze, und sie setzte sich schwer atmend auf einen Küchenstuhl, ihr Haar auf der Stirn schweißverklebt, ihre dralle Figur geschüttelt von unkontrollierbaren Nervenkrämpfen. »Heirate mich«, sagte Lajos.
    Sie streckte eine vorzeitig blau geäderte Hand aus, die Hand einer alten Frau. »Liebster Junge«, murmelte sie. Lajos erhob sich und sprach mit tonloser Stimme: »Ich arbeite als Musikkritiker für ein ungarisches Wochenblatt.«
    »Davon kann man nicht leben.«
    Er stotterte: »Ich spüle auch Geschirr, im >Come-n-Gettit Steak House<.«
    Tränen quollen wieder in ihre schwarzen Augen. Verlegen fügte er hinzu: »Ich habe meine Adresse aufgeschrieben, falls du mich brauchen solltest.« Er legte einen Zettel auf den Tisch und ging.
    Sie starrte ihm geistesabwesend nach, dann blickte sie in den Spiegel. Rasch machte sie sich zurecht, erneuerte den Puder, das Rouge, die Mascara, den Lippenstift, und prüfte sich dann mit einem Blick voll rätselhafter Faszination. »Ich bin nicht alt genug, um Lajos zu heiraten«, stellte sie fest.
    Ihr Abstieg war um so qualvoller, als er schrittweise erfolgte. Als das Geld aus war, suchte sie sich einen Job als Ungarischlehrerin an einer Sprachenschule, aber wenngleich ihre Kenntnisse des Ungarischen ausreichend waren, waren es ihre Englischkenntnisse nicht, und ihre Schüler machten keine Fortschritte. Schließlich schlug sie sich als selbständige Näherin durch und plagte sich mit Aufträgen anderer, anerkannter Bekleidungsfirmen. Sie nannte sich Mrs. Mary Schiffnick, denn sie behauptete stolz, der Name Mizzi Somlos würde nur mit Glanz und Ruhm in Verbindung gebracht. Lajos besuchte sie etwa einmal pro Woche und versäumte nie, seinen Antrag zu erneuern. Etwas Verzweifeltes lag in seiner Zurückhaltung, etwas beinah Verrücktes in seiner Beharrlichkeit. Die Zeit verging, und damit wuchs die Verbitterung. Der Krieg brach aus, aber Mizzi konnte sich noch immer nicht überwinden, eine Entscheidung von solcher Tragweite zu treffen. Immer noch ging sie zum Vorsingen und nannte sich Mary Schiffnick, immer exzentrischer gekleidet in Sachen, die sie sich selber nähte – aber

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