Gottes blutiger Himmel
ich war ihm ins Netz gegangen. Von der Toilette aus hatte er meine Entführer angerufen.
Sie zwängten mich in ein Auto, wo ich zwischen zweien von ihnen auf dem Rücksitz saß, der Späher nahm vorn Platz. Das Auto raste los. Die Vermummten schossen durch die offenen Fenster in die Luft und bahnten sich einen Weg zwischen zur Seite springende Menschen hindurch. Kurz darauf bogen sie in eine Seitengasse ab. Der Späher stieg aus, nachdem er dem Fahrer etwas zugeflüstert hatte. Mich warfen sie aus dem Auto und stellten mich an eine brüchige Hauswand mit verblasster schmutziger Farbe. Es roch nach Müll und Urin, und auf der Mauer stand: Nieder mit Saddam und darüber Es lebe Saddam . Es war das Letzte, was ich von Bagdad sah, bevor mir die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Augen mit einer schwarzen Binde verbunden wurden und sie mich in den Kofferraum stießen. Als die Haube zuknallte, begriff ich endgültig, dass diese Entführung echt war.
Dritter Teil
Ich wünschte, meine wiedererwachten Erinnerungen würden hier enden. Ich habe die Reise in den Irak überstanden und eine Entführung überlebt. Warum soll ich jetzt eine Tragödie daraus machen? Aber Bilder, die ich verdrängt hatte, spuken mir nun durch den Kopf. Ich entkomme ihnen nicht. Es fehlt mir nur der Zusammenhang, aus dem sie stammen, und der Mut, ihn zu rekonstruieren. Ich spüre, dass er zu brutal wäre für einen Vater, der nicht nur seinen Sohn verloren hat, sondern der diesen Verlust mehrmals und auf verschiedene Weise zu beklagen hatte und nicht weiß, wie schmerzhaft er für ihn noch werden wird.
Aber wer kann sich schon aussuchen, was ihm bevorsteht? Oder wie soll ich es interpretieren, dass mein Widerstand sich zusehends auflöst? Weil man sich dem Schicksal stellen muss? Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Soll doch der Horror seinen Lauf nehmen. Er hat bereits seine Fänge nach mir ausgestreckt. Und ich werde ihn nicht nur streifen, sondern ihn ein zweites Mal erleben.
Am Rande der Hölle
1
Ich bekam kaum Luft, blieb aber bei Bewusstsein. Der Kofferraum war so eng, dass er mich kaum fasste. Meine Nerven waren aufs äußerste gespannt und meine Sinne wach. Ich bereute meinen Wagemut nicht. Mich beruhigte der Gedanke, dass ein unabwendbares, unnennbares Schicksal sich gegen meine Skepsis stellte. Die Grüne Zone zu verlassen war unumgänglich gewesen, und es wäre zwecklos gewesen, meinem Leben eine andere Richtung geben zu wollen als die ihm vorgezeichnete. Selbst meine Entführer waren nicht Herr ihres Tuns, sondern Geiseln meines Geschicks.
Bringt Hoffnung einen auf solche Gedanken? Jedenfalls währte sie nicht lange.
Vergeblich unternahm ich den Versuch, die Richtung zu erraten, in die das Auto fuhr. Ich kannte mich in Bagdad noch immer nicht aus und erst recht nicht in irgendwelchen Vororten oder Dörfern außerhalb der Stadt. Wir fuhren auf asphaltierten Straßen mit Schlaglöchern, zuweilen bog das Auto nach rechts, dann wieder nach links ab, bis die Geschwindigkeit gleichmäßiger wurde und der Fahrer nicht mehr abzweigte. Einmal wichen wir auf eine Piste aus, vielleicht um einen Kontrollpunkt oder eine Patrouille zu umgehen, und zwischenzeitlich musste der Wagen längere Zeit anhalten, offenbar weil uns eine amerikanische Kolonneentgegenkam. Ich konnte schwere Lastwagen an uns vorbeifahren hören, danach setzten wir unseren Weg in normalem Tempo fort. Wir passierten anscheinend auch Kontrollpunkte befreundeter Clans und solche der Polizei, und einmal hörte ich, wie der Fahrer durchs Fenster rief: »Dschihadkämpfer!«, und wie man ihn willkommen hieß und mit den Worten »Möge Gott euch zum Sieg führen!« verabschiedete.
Lange Zeit verging, und ich dachte, dass es schon dunkel sein müsse. Es waren wohl vier Stunden oder mehr verstrichen, als sie mich aus dem Kofferraum holten. Trotz meiner Augenbinde konnte ich erkennen, dass es doch noch hell war. Dazu war die Luft sauber und roch zu meiner Überraschung nach wildem Gras. Jemand zog mich am Arm ein paar Meter weg und stieß mich dann nach vorn. Ich stolperte und fiel hin, er zog mich am Kragen hoch, und ich richtete mich mühsam wieder auf. Jetzt durchsuchten sie mich. Sie fassten mich grob an, schrien herum und nahmen mir alle Papiere ab. Wir schienen bei einem abgelegenen Haus zu sein. Einer schubste mich zu einer Treppe, die ich hinabsteigen musste. Er befahl mir, den Kopf einzuziehen und in einen Raum zu treten, aus dem es faulig roch. Dann nahm er mir die
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