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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Rosa
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zu
zerstören.
    Was wirklich geschah, war, daß
die Welt erwachsen wurde. Eine Revolution ereignete sich im Denken des
Menschen, die Fortsetzung dessen, was sich im Denken Galileos ereignet hatte.
Die Naturwissenschaft begann, Fragen zu beantworten, die frühere Generationen
Priestern und Gebeten überlassen hatte. Pius lebte geistig noch in einer
mittelalterlichen Welt, wo Gott von »dort draußen« oder »dort oben« durch
Wunder oder durch Propheten und Päpsten eingeflüsterte Aussagen eingriff. Er
glaubte zum Beispiel, daß ein Papst, auch er selbst, ohne irgendeine besondere Kompetenz
in der Schrift die Bedeutung eines Bibeltexts ein für allemal deuten konnte,
wenn er ihn nur einfach ansah. Pius vertrat die Zeitlosigkeit und Absolutheit
aller Lehraussagen in einer geschichtlichen Epoche, in der immer deutlicher
wurde, daß alle moralischen Urteile und Glaubensaussagen der Relativität
unterlagen. Die Gelehrten sagten, daß alles neu gedacht werden mußte.
    Der Mensch ist kein Geschöpf
des Absoluten, außer in seinem Streben nach dem, was über ihn hinausgeht; er
ist notwendig Teil einer sich wandelnden Welt. Alles wandelt sich, auch sein
Verständnis von sich selbst, Gott und Offenbarung. Das Alte Testament liefert
Beispiele dafür. Nach und nach entwickelt sich ein jüdischer Stammesgott mit
begrenzter Macht und noch begrenzterer Anhängerschaft zu einem Gott der
Heerscharen, bis er schließlich als der Gott der Schöpfung und der Geschichte
wahrgenommen wird. Auch das Neue Testament zeigt, daß Jesus kein Geschöpf ist,
das von außerhalb der Welt über sie gekommen wäre, sondern ein Mensch, der in
einem bestimmten Sinn wie alle Menschen immer gegenwärtig war.
Neutestamentliche Offenbarung ist nicht Verlautbarung und Rezeption göttlicher
Aussagen, sondern ein stufenweises Verstehen der Bedeutung von Jesu Leben, Tod
und Auferstehung, durch Predigt und Lehre zu einem pädagogischen Werkzeug
geworden, an verschiedenen Orten und je nach den verschiedenen Bedürfnissen
unterschiedlicher Gemeinden, Griechen und Juden.
    Die Geschichtlichkeit des
Menschen, die die Gelehrten der Zeit so erregte, war Anathema für Pius X. Er
empfand sie als Bedrohung für die Kirche und für seine Stellung in ihr als
Sprachrohr ewiger Wahrheiten.
     
     
    Zwei Modernisten
     
    Fast die beste Art, ein Regime
zu beurteilen, ist zu untersuchen, wiees Intellektuelle
behandelt. Zur Zeit Pius’ X. wurden katholische Intellektuelle sehr streng
behandelt.
    George Tyrrell war einer von
ihnen. Er wurde 1861 in Dublin geboren und in der irischen Kirche erzogen; doch
mit achtzehn ging er nach England, wo er Katholik und Jesuit wurde. Er war ein
talentierter Schreiber und dazu bestimmt, wie es schien, der Elite der
Gesellschaft Jesu anzugehören. Bis ihm auffiel, daß Thomas von Aquin nicht alle
Antworten auf die Fragen gab, die der moderne Mensch stellte. Es war absurd zu
glauben, daß Thomas nicht eine seiner Ideen geändert hätte, wenn er in der Lage
gewesen wäre, Galileo, Newton und Darwin zu lesen. Er hätte vielmehr fast jede
Zeile geändert, die er geschrieben hat. Doch Pius X. schrieb i l seiner
Enzyklika zum Priestertum von 1906, Pieni l’anima : »Das Studium der
Philosophie, Theologie und verwandter Gebiete, vor allem der Heiligen Schrift,
werde im Geiste päpstlicher Dokumente und des hl. Thomas von Aquin betrieben.«
    Da sich Tyrrell bedroht fühlte,
schrieb er Bücher unter verschiedenen Pseudonymen: A. R. Waller, Hilaire
Bourdon, Dr. Ernest Engels. Er wurde ertappt und am ersten Januar 1906 aus der
Gesellschaft Jesu entlassen. Er durfte keine Messe zelebrieren, obwohl er nie
formal der Häresie angeklagt wurde.
    Erzbischof Mercier von Malines
war bereit, ihn in seiner Diözese aufzunehmen. Doch Kardinal Ferrata, Präfekt
der Heiligen Kongregation für Bischöfe und Ordensgeistliche, stellte strenge
Bedingungen. Der berühmte, fünfundvierzigjährige Tyrrell mußte sich »formell
verpflichten, weder etwas über religiöse Fragen zu veröffentlichen noch
irgendeine Korrespondenz ohne die vorherige Billigung einer kompetenten Person
zu führen, die der Erzbischof ernennt«.
    Tyrrell konnte den Gedanken
nicht ertragen, daß man seine Briefe zensierte. Dies sei, sagte er, »die
Behandlung, die der Zar einem Anarchisten zukommen lassen mag«. Aber
schließlich war er in den Augen der Kirche ein Anarchist, verbündet mit anderen
Anarchisten, um die Grundfesten der Kirche zu untergraben.
    Er schrieb dem Papst einen
persönlichen

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