Gottes erste Diener
Brief. »Wir haben ein Recht, von Eurer Heiligkeit positive ebenso
wie negative Führung zu erwarten, das Aufbauen von Wahrheit ebenso wie die
Zerstörung der Unwahrheit.« Er bekam nie eine Antwort.
Als Pater Tyrrell am letzten
Tag des September 1907 etwas Kritisches über Pascendi schrieb, durfte er
die Sakramente nicht empfangen. Inzwischen litt er sehr an Migräne und einer
Nierenkrankheit.
Er war versucht, zur Kirche
seiner Kindheit zurückzukehren, doch er hatte für den Katholizismus soviel
gelitten und wollte seinen Mitkatholiken nützlich sein. Er blieb auf der kalten
Schwelle der Mutter Kirche und hoffte auf ein gutes Wort, das niemals kam.
Auf seinem Totenbett wurde er
von seinen Sünden losgesprochen, obwohl er deutlich gemacht hatte, daß er nicht
widerrufen würde. Dies war in dem Dorf Storrington am Rand der South Downs.
Sein alter Freund, der Abbe Bremond, war zu ihm gerufen worden. In einem klaren
Augenblick konnte Tyrrell mit ihm sprechen. Der Abbö erteilte ihm nochmals
Absolution für seine Sünden..
Trotzdem wurde Tyrrell eine
Seelenmesse verweigert. Er hatte sich dem Heiligen Stuhl nicht unterworfen. Ein
Begräbnis auf einem katholischen Friedhof wurde ihm verweigert, und so begruben
seine Freunde ihn auf einem anglikanischen Friedhof. Nach ein paar schlichten
Gebeten hielt Abbe Bremond an seinem Grab eine großartige Lobrede, die dem
Bischof von Southwark zu Ohren gekommen sein muß. Denn drei Tage später erhielt
der Prior von Storrington ein Telegramm von ihm: »Erlauben Sie Bremond nicht,
Messe zu lesen.«
Kurz vor seinem Tod hatte
Tyrrell einem Freund geschrieben: »Meine eigene Arbeit — die ich als getan
betrachte — war, eine Frage aufzuwerfen, die ich nicht beantwortet habe.« Das
ist ein gutes Nachwort für einen großen und heiligen Priester, für den Rom
keinen Platz hatte.
Ein weiterer Priester, der
unter den päpstlichen Hammer geriet, war Abbe Loisy. Er war ein Schüler des
großen Monsignore Louis Duchesne und sah schon früh, daß Roms Einstellung zur
Bibel unhaltbar war. Ihr gegenüber Loyalität auch nur zu heucheln, war ruinös
für das christliche Gewissen. 1903 veröffentlichte er L’Evangile et
l’Eglise. Pius X. reagierte mit sofortiger Zensur. Im März des folgenden
Jahres schrieb Loisy an den Papst. Es war ein Akt großer Demut von einem Mann,
dem Demut nicht leichtfiel. Er begann seinen Brief: »Heiligster Vater, ich
kenne Ihre Herzensgüte wohl, und es ist Ihr Herz, an das ich mich jetzt wende.«
Er bot an, sein jüngstes Buch
öffentlich zu widerrufen, seine Lehrstelle an der Ecole des Hautes Etudes
aufzugeben und wissenschaftliche Veröffentlichungen, die er an der Hand hatte,
zurückzuhalten.
Pius X. antwortete ihm nicht.
Statt dessen schrieb er an den konservativen Kardinal Richard von Paris: »Ich
habe einen Brief von Abbé Loisy erhalten, in dem er an mein Herz appelliert,
doch dieser Brief kommt nicht von Herzen.« Er bestand auf einer absoluten,
uneingeschränkten Unterwerfung des Abbé. Besonders müsse er gedrängt werden,
»zu verbrennen, was er anbetete, und anzubeten, was er verbrannt hatte«.
Als dies Loisy mitgeteilt
wurde, bekannte er, daß in ihm etwas zerriß. War es das letzte Band zwischen
ihm und dem Glauben seiner Kindheit? »In meinen Brief gepreßt«, schrieb er,
»war der letzte Tropfen Gefühl, der in meiner katholischen Seele geblieben
war.«
Pius X. hatte den rauchenden
Flachs gelöscht und das geknickte Rohr zerbrochen.
Im März 1908 exkommunizierte
Pius X. Loisy und nannte ihn vitandus, die strengste Form der
Verurteilung, die das Kirchenrecht kennt. Es bedeutet, daß Katholiken nichts
mit ihm zu tun haben dürfen, außer wenn es absolut notwendig ist, nicht nur in
der Kirche, sondern auch außerhalb der Kirche. Was Pius X. betraf, so
existierte Abbé Loisy nicht mehr.
Als Abbé Bremond, ein Freund
von Tyrrell und Loisy, 1924 in die Académie Française aufgenommen wurde, sagte
er in seiner Rede: »Ich habe unter vier Päpsten gelebt: Pius IX., Leo XIII.,
Benedikt XV. und Pius XI.« Was war da impliziert? Daß weder er noch irgend
jemand sonst unter dem heiligmäßigen Pius X. gelebt hatte? Oder daß Pius X. für
ihn nicht mehr existierte?
Wozu sollte Tyrrell oder sonst
jemand eine Frage aufwerfen, wenn Pius X. alle Antworten schon in petto hatte?
Nachspiel
Tyrrell und Loisy waren nicht
die einzigen Opfer. Pius X. löste eine solche Säuberung
unter den Wissenschaftlern aus, daß die Wirkungen
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