Gottes erste Diener
für sein Vorgehen gegen einen Fürsten oder Bischof. Sehr
wohl, diese Prälaten produzierten buchstäblich das geeignete Dokument. Forschen
mußte man nicht — es wurde alles im eigenen Betrieb gemacht.
Viele frühere Dokumente wurden
geändert, bis sich ihr Inhalt ins Gegenteil umgekehrt hatte. Einige dieser
früheren Dokumente waren selbst Fälschungen. Hildebrands Schule behandelte alle
Papiere, gefälscht oder echt, mit vollkommen unparteiischer Unehrlichkeit.
Orwells 1984 wurde um neun Jahrhunderte vorweggenommen — nicht in irgendeinem
gottlosen Staat auf Geheiß des Großen Bruders, sondern im Herzen des römischen
Katholizismus zugunsten des Papstes.
Diese Instantmethode der
Geschichtserfindung war wunderbar erfolgreich, besonders weil die Fälschungen
in das kanonische Recht einbezogen wurden. Mit unzähligen subtilen Abwandlungen
ließen sie den Katholizismus unwandelbar erscheinen. Sie machten aus »heute«
»von Ewigkeit zu Ewigkeit«, und das ist selbst heute, entgegen den Befunden der
Geschichte, die typische Prägung des Katholizismus.
So vollendete sich die stillste
und nachhaltigste aller Revolutionen: Sie wurde ganz auf dem Papier gemacht.
Sie hätte nicht funktioniert in einem Zeitalter, in dem jeder lesen und
schreiben kann, in dem es Druck, Fotokopien und Datierung anhand von
Halbwertzeiten gibt. Sie funktionierte reibungslos in einer Zeit seltener
Manuskripte, mangelnder Bildung und analphabetischer Kaiser.
Gregor war sich nicht zu gut
für einen eigenen Betrug.
Die einflußreichste aller
Fälschungen waren die Dekrete des Pseudo-Isidor, von französischer Herkunft und
aus dem neunten Jahrhundert, auf die Rom sich gierig stürzte und die Gregor,
»der nicht irren konnte«, für echt hielt. Sie bestanden aus 115 Dokumenten,
angeblich aus der Feder früher römischer Bischöfe, angefangen mit Clemens
(88—97). Weitere 125 Dokumente hatten gefälschte Zusätze, die Macht und
Prestige des Papsttums steigerten. Dem Fälscher zufolge verboten die frühen
Päpste jeden Umgang mit Exkommunizierten.
Gregor erweiterte dieses
Prinzip, wohl wissend, daß es dafür keinen Präzedenzfall gab, 1078 auf Kaiser
und Könige. Wenn ein Papst einen Kaiser exkommunizierte und seine Untertanen
nichts mit ihm zu schaffen haben durften, wozu war er dann gut? Er konnte nur
noch abgesetzt werden, was Gregor durchaus gern tat. Selbst die glühendsten
Papstgetreuen fanden dies schwer zu entschuldigen. Denn Gregor vermengte
absichtsvoll zwei verschiedene Rechtsarten, kirchliches und weltliches, und
machte das geistliche Prinzip der Exkommunikation zu einer politischen Waffe.
In seiner Hand war sie vernichtend. Er setzte den griechischen Kaiser ebenso ab
wie Boleslaus, den polnischen König, und verbot Polen, sich je wieder
Königreich zu nennen. In einem Land nach dem anderen säte er Unfrieden — es gab
Aufstände und Bürgerkriege.
Um einen Moment
vorauszuschauen: die zu dieser Zeit gefälschten Dokumente wurden Mitte des 12.
Jahrhunderts in Bologna von dem Benediktinermönch Gratian systematisiert. Sein Decretum oder Codex des kanonischen Rechts war mit Abstand das einflußreichste Buch, das
je ein Katholik geschrieben hat. Es war durchsetzt von Fälschungen aus drei
Jahrhunderten und Schlüssen aus ihnen, dazu noch mit seinen selbsterfundenen
Zusätzen. Von den 324 Zitaten von Päpsten der ersten vier Jahrhunderte sind nur
elf echt.
Unter seinen eigenen Zusätzen
war eine Reihe von Canones, die alle Exkommunizierten als Ketzer behandelten.
Dies war alarmierend, wenn man bedenkt, wie mit Ketzern umgesprungen wurde.
Urban II. hatte am Ende des elften Jahrhunderts bestimmt, daß sie zu foltern
und zu töten seien.
Bemerkenswerterweise erfand
Gratian eine Methode, päpstliche Macht auszudehnen. Der Papst, erklärte er zur
Freude Roms, ist ohne Einschränkung über dem Recht und ist dessen Quelle. Er
muß deshalb die gleiche Stellung einnehmen wie der Sohn Gottes. Diese Apotheose
wurde die Inspiration der Kurie, die im Namen des Papstes handelte. Jeder
Federfuchser war irgendwie ein Gott.
Noch später, im dreizehnten
Jahrhundert, war das Decretum Thomas von Aquins Quelle für Zitate von
den Kirchenvätern und Päpsten, als er seine meisterhafte Summa Theologica schrieb, .das zweitberühmteste Buch von einem Katholiken. Thomas kannte das
Griechische kaum oder gar nicht und ließ sich von Gratian in die Irre führen,
speziell was das Papsttum betrifft. Thomas hatte natürlich einen riesigen
Einfluß auf
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