Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)
niedriger Hitze dazugegeben, und dieser Schleim wurde in sterile Lozenges gefüllt, um ihn dort zu konservieren. Diese kleinen rautenförmigen Lozenges wurden dann in den dritten Stock gebracht, wo die DNA -Proben entnommen und die Tests durchgeführt wurden.
Er machte seine Arbeit so, wie er sie immer gemacht hatte. Das fiel ihm leicht.
Wenn man lange genug auf Knochen starrt, lernt man ihre Dauerhaftigkeit zu schätzen. Die Konstanz des Materials. Für die meisten Aspekte lebender Organismen ist das äußere Erscheinungsbild ein Schemen, das einen verrückt machen kann – Dinge wie Haarfarbe, Hautfarbe, Gewicht oder Muskelmasse. All das ist schwer zu quantifizieren u nd verändert sich ständig. Diese Eigenschaften sind abhä ngig von der Gesundheit und dem Alter, den Jahreszeiten und der Ernährung. Sie sind dem Prozess des Lebens selbst unterworfen. Bei Knochen verhält sich das nicht so.
Knochen sind den Anforderungen der Welt gegenüber resistent.
Die Menschen hingegen weniger.
Am Abend fuhr Paul in der Dunkelheit nachhause, kämpfte sich durch den Verkehr auf der Francis Scott Key Bridge. Wenn er dann in seiner Wohnung war, goss er seine Pflanzen, die bis auf den gedrehten Bambus alle vollkommen tot waren. Aber er gab ihnen trotzdem Wasser.
Und jede Nacht musterte er sich im Spiegel des Badezimmers. Er nahm die Augenklappe ab und betrachtete die Narbe, blickte in das milchige Geisterauge. »Ich bin weniger«, sagte er einmal, und die Tatsache, dass er das gesagt hatte, gab ihm zu denken.
Jede Nacht öffnete er seinen Medizinschrank. Er schrau bte den Deckel der Plastikflasche ab und warf einen Blick auf die Probe darin.
Morgens kam er immer sehr früh ins Labor, lange vor dem Gewühl der anderen Wissenschaftler und Techniker. In seinem Büro lehnte er sich auf seinem ledernen Drehstuhl zurück, die Finger hinter dem Kopf verschränkt.
Dann blickte er hoch und sah ein Gesicht, versteckt in den Mulden und Spalten der schalldämmenden Deckenfliesen. Er sah es klar und deutlich: da eine Nase, dort eine geschwungene Lippe, und da zwei dunkle Augen, die auf ihn herabblickten. Je nachdem, wie er die Unterlippe interpretierte, schien das Gesicht fast zu lächeln.
Er betrachtete es lange und fragte sich, wie er fast drei Jahre lang in diesem Büro hatte sein können, ohne dass es ihm jemals aufgefallen war, ohne dass er je gespürt hatte, dass dieses Gesicht auf ihn herabblickte.
Paul schloss sein Auge für einen Moment und zwang sich, das Bild zu vertreiben. Als er sein Auge wieder öffnete, war das Gesicht verschwunden. Die Mulden waren immer noch da, auch die Textur des Materials. Aber jetzt war es nur Material, nicht mehr. Wirbel ohne Muster.
Er konzentrierte sich. Versuchte, das Gesicht noch einmal zu sehen, aber es gelang ihm nicht. Ganz gleich, wie sehr er es auch versuchte, er konnte kein Gesicht aus den Deckenplatten formen.
Das war Glück. Etwas, das man sah, nur einen Moment lang.
Am nächsten Nachmittag kam eine neue Lieferung von Knochen an, verpackt in grünen Schaumstoff. Hongbin rollte die Proben auf einem kleinen Metallkarren herein. Auf dem Etikett stand XTN -2421. Sie hätten von überall kommen können, eine Reihe von kleinen Knochenstücken, denen jegliches morphologische Detail vollkommen abging.
Paul durchquerte den Raum und schnappte sich seine Schutzbrille, bereitete sich auf die Prozedur vor, die vor ihm lag. Er zog die Riemen straff, so dass die Brille fest aufsaß. Hinter ihm teilte Hongbin die Proben in zwei gleic h große Haufen. Paul trat an den Tresen und nahm den Stößel. Mit Knochen zu arbeiten bedeutete Handarbeit. Er nahm ein kleines Knochenstück und legte es in die Mörserschale. In den frühen Tagen der DNA -Extraktion hatte man Bohrer für diese Art von Arbeit benutzt. Die Wissenschaftler hatten dabei jedoch festgestellt, dass die meisten Knochen keinerlei DNA mehr aufwiesen. Bei einer Geschwindigkeit von über zweihundertsechzig Umdrehungen pro Minute hatte die Hitze des Bohrers die Proteinstrukturen gerinnen lassen. Bei dem Versuch, die DNA zu extrahieren, hatten die Forscher sie zerstört.
Paul zermalmte die Probe mit dem Stößel zu einem feinen Pulver.
Wenn man lange genug mit Knochen arbeitete, konnte man befördert werden und in den dritten Stock gelangen. Das hatte Paul jedoch niemals vorgehabt. Er hatte nie nach einer Beförderung geschielt.
Paul war ein Knochenmann. Ein Mann für die Arbeit im Feld. Ein notwendiges Übel. Die Gen-Freaks erkannten ihn
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