Gottes geheime Schöpfung: Thriller (German Edition)
möglicherweise Schmerz hätte sein können.
»Gavin«, sagte der alte Mann.
Da war er, herausgetreten aus den Legenden. Es gab so viele einander widersprechende Geschichten über ihn. Er war inkongruent, ein lebender Widerspruch. Da gab es den Mann, der Millionen Dollar für medizinische Forschungszwecke spendete, seine eigenen Entdeckungen jedoch für sich behielt. Er war geizig, paranoid und vollkommen furchtlos. Er hatte Leben gerettet und Menschen getötet. Für einige war er eine Ikone, für andere wahnsinnig. Aber niemand konnte die Macht leugnen, über die er verfügte. Die Wahrheit war, dass dieser alte Mann Gavin eine Todesangst einflößte.
»Sir«, sagte Gavin.
»Es ist schon lange her. Wie viele Jahre?«
»Viel zu viele.«
»Sie haben Farbe bekommen«, bemerkte der alte Mann. »Diese indonesische Sonne hat Ihren Teint gebräunt. Gehen Sie ein Stück mit mir spazieren.« Er drehte sich um, ohne auf eine Erwiderung zu warten.
Gavin folgte ihm. Sie gingen über einen gepflasterten W eg, hinter ihnen, in respektvollem Abstand, die drei Män ner. Sie schwitzten in ihren dunklen Anzügen.
Der alte Mann gab Gavin einen Feldstecher, und als Gavin ihn nahm, war die Oberfläche feucht von Schweiß.
Gavin hatte den alten Mann zum ersten Mal vor zwanzig Jahren getroffen.
Letztendlich war es ums Geld gegangen, obwohl er sich dazu durchgerungen hatte, es anders zu nennen. Der alte Mann, und er war bereits damals alt gewesen, hatte ihm erlaubt, seine vorgeschobenen Ideale zu behalten, jedenfalls für eine Weile. So lange, bis Carlsson aufgetaucht war.
Wie sollte man auch all das ablehnen, was man jemals hatte haben wollen?
Der alte Mann hatte es irgendwie gewusst. Die Scheidung, die Geldprobleme, die stockende Karriere an der Universität. In der Rückschau war ihm klar, dass er von Anfang an an der Leine von Johansson gelaufen war, obwohl er es damals nicht so empfunden hatte. Gavin war nur eine weitere Figur im Schachspiel des alten Mannes gewesen.
Ihr erstes Zusammentreffen hatte in Oakland stattgefunden, auf einem Anthropologen-Kongress. Martial war damals bereits eine graue Eminenz im Hintergrund gewesen und hatte Gavin um ein Treffen gebeten. »Martial Johansson möchte Sie gern kennenlernen«, hatte auf der Einladung gestanden. Gavin war in den Konferenzraum gegangen, dessen Nummer auf der Karte gestanden hatte, und hatte Martial Johansson hinter einem langen Tisch sitzend vorgefunden. Sie hatten über Genetik und die Zukunft der Molekularbiologie geredet.
Einen Monat später hatte er einen Anruf bekommen. Und dann ein Flugticket zu einem Symposion in Kalifornien.
Ein weiteres Konferenzzimmer. Ein weiteres Gespräch. Und diesmal ein Scheck. Mit jeder Menge Nullen. Er hatte eingewilligt. Erst viel später war ihm klar geworden, dass er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte. Gavin fragte sich, wie viele solcher Deals der alte Mann im Laufe der Jahre wohl gemacht hatte. Und wie viele andere Schecks er ausgestellt hatte.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte der alte Mann. »Es war ein wenig kurzfristig, aber angesichts der Umstände hielt ich es für das Beste, wenn wir uns persönlich unterhalten.« Sie bogen um eine Kurve, und hier war der Boden des Pfads lehmig und ausgetreten.
»Es ist gut, wieder in den Staaten zu sein«, sagte Gavin. »Und dieser Ort …« Seine Stimme verklang.
»Entspricht er dem, was Sie sich vorgestellt haben?«
»Ich wusste nicht genau, was ich mir vorstellen sollte.«
»Wir leben in sehr seltsamen Zeiten«, sagte der alte Mann. Seine Stimme klang gebrochen und schwach, obwohl seine Miene so zuversichtlich war, wie Gavin sie in Erinnerung hatte.
»Allerdings, Sir.«
»In düsteren Zeiten.« Martial keuchte.
Der alte Mann ging langsamer als bei ihrem letzten Treffen, das fiel Gavin auf. Und er atmete keuchend und flach. Wenn die Gerüchte stimmten, dann hatte er seine dritte Lunge, und die Medikamente, die verhinderten, dass sein Körper sie abstieß, hatten sein Immunsystem ruiniert. Dadurch war er sehr anfällig für Infektionen. Daher ging er nicht viel aus, sondern holte die Welt zu sich.
Sie folgten dem Pfad bis zu einer Öffnung in dem dichten Unterholz. Vor ihnen befanden sich riesige Käfige mit großen Raubkatzen.
»Ich komme jeden Tag hierher, um ihnen beim Fressen zuzusehen«, erklärte Martial. »Von allen Tieren in dieser Einrichtung sind die Raubkatzen diejenigen, die ich am meisten respektiere.«
Ein gewaltiges Raubtier ging in dem Käfig
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